Der Fusionär tritt ab

Der Chef des größten Medienkonzerns der Welt geht auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Ermordung seines Sohnes hat AOL-Time-Warner-Vorstand Gerald Levin nie verwunden: „Warum ich auf der Welt bin, kann nicht nur für dieses Unternehmen sein“

aus New York NICOLA LIEBERT

Gerald Levin ist ein Stehaufmännchen. So manches Mal stand er schon kurz davor, von seinem Chefposten verdrängt zu werden. Jedes Mal ging er aus solchen Kämpfen mit noch mehr Macht hervor. Jetzt aber nimmt der Vorstandsvorsitzende von AOL Time Warner freiwillig seinen Hut. Ungewöhnlich jung, mit gerade 63 Jahren, geht er diese Woche in den Ruhestand, nicht einmal anderthalb Jahre nachdem er den Internetriesen AOL mit dem Fernseh- und Zeitschriftenimperium von Time Warner verschmolzen hat.

„Ich glaube keine Sekunde, dass er freiwillig gegangen ist“, zitiert die Los Angeles Times einen Manager einer Konkurrenzfirma. „Warum würde ein Typ, der noch so jung ist und dessen Job es ist, der Welt größtes und mächtigstes Medienkonglomerat zu führen, einfach weggehen?“ So manch einer fragte sich, ob ein Showdown zwischen AOL-Gründer Steve Case, dem jetzigen Aufsichtsratsvorsitzenden von AOL Time Warner, und Levin stattgefunden hat. Doch ein tiefer Konflikt im Konzern, der den Rausschmiss des Chefs erklären könnte, ist nicht zu entdecken. Dagegen spricht auch, dass es Levin gelang, seinen langjährigen Vertrauten aus Time-Warner-Zeiten, Richard Parsons, zum Nachfolger zu küren. Parsons hatte sich bislang den Posten des Geschäftsführers mit dem AOL-Mann Robert Pittman teilen müssen.

Levin selbst begründet seinen Weggang mit geradezu philosophischen Betrachtungen: „Wer ich bin und warum ich auf der Welt bin, das kann nicht alles nur für dieses Unternehmen sein.“ Und weiter: „Ich muss meine Identität zurückbekommen. Ich bin dabei, mein wirkliches Ich zu zeigen.“ Das Bedürfnis nach Selbstfindung scheint durch ein Ereignis vor fünf Jahren ausgelöst worden zu sein, das Levin bislang nicht überwunden hat: die Ermordung seines Sohnes Jonathan, der in New York als Lehrer arbeitete. Damals hat Levin in seinen Arbeitsvertrag eine Klausel einfügen lassen, wonach er schon vor dem Vertragsende 2003 mit einem halben Jahr Kündigungsfrist ausscheiden könne. Zum ersten möglichen Zeitpunkt, im Dezember letzten Jahres, machte er davon Gebrauch.

Mit seiner Kündigung wolle er zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gebe als am Chefsessel zu kleben, bis man stirbt oder rausgeschmissen wird. „Ich habe in meiner Managementkarriere etwas getan, von dem ich hoffe, dass es als Beispiels für andere dient“, sagte er und überraschte damit wieder einmal die Öffentlichkeit.

Der als Anwalt ausgebildete Levin heuerte 1972 beim Zeitschriftenverlag Time Inc. an. Dort verhalf er dessen Pay-TV-Sender HBO zum Durchbruch. Seine erste größere Prüfung hatte er bei der Fusion des Filmriesen Warner Brothers mit Time Inc. Ende der Achtzigerjahre. Nach dem unerwarteten Krebstod von Warner-Chef Steve Ross schaffte es Levin, sich wider alle Vermutungen an die Spitze des Konzerns zu setzen. Die nächste Hürde tauchte schon bald in Person von Ted Turner auf. Der charismatische Günder des Nachrichtensenders CNN verkaufte sein Medienimperium Mitte der Neunziger an Time Warner. Noch vor kurzem grollte er: „Ich hätte Jerry Levin feuern können, bevor er mich feuerte“ –wenn es ihm nur gelungen wärre, selbst Time Warner zu kaufen, statt aufgekauft werden. So wurde Turner war zwar größter Einzelaktionär des Konzerns, verlor aber mit der Zeit alle Leitungsbefugnisse.

Levins letztes Meisterstück war dann die Fusion mit America Online. Zwar war AOL zum Zeitpunkt, als der Deal auf dem Höhepunkt des Internetbooms vereinbart wurde, das größere Unternehmen. Deshalb kaufte der Internetriese Time Warner – und nicht etwa umgekehrt. Doch es war Levin, der Vorstandsvorsitzender des fusionierten Riesen wurde, nicht der bisherige AOL-Chef Steve Case. Seither war Levin jedoch wenig Erfolg beschieden. Die Internetblase platzte, und Kritiker konnten danach leicht behaupten, er habe Time Warner unter Wert verkauft.

Lange hielt er gegenüber seinen Aktionären an unrealistischen Wachstumszielen für das fusionierte Unternehmen fest, bis er Ende vergangenen Jahres endlich einräumte, dass sie mitten in der Rezession nicht zu erreichen sind. Der Aktienkurs von AOL Time Warner ist inzwischen unter den Wert zum Zeitpunkt der Fusion im Januar 2000 gefallen. Damal hatte Levin noch 11 Millionen Dollar an Gehalt und Prämien eingenommen. Letztes Jahr verdiente er nicht mal mehr ein Zehntel dieser Summe.