Wahlen in Afrikas Wildem Westen

Nach zehn Jahren Bürgerkrieg zelebriert Sierra Leone heute mit Wahlen die Rückkehr zu Frieden und Demokratie. Aber so ganz trauen die Bewohner der Hauptstadt Freetown der Zukunft nicht. Vielleicht wählen sie sogar die bisherige Regierung ab

aus Freetown HAKEEM JIMO

Wenn die Leute den Namen ihres Landes aussprechen, klingt das wie „Saloona“. Und wie in einem Saloon im Wilden Westen geht es in Sierra Leone vor den heutigen historischen Wahlen zu, die nach zehn Jahren Krieg die Rückkehr zur Demokratie symbolisieren sollen. Bluffen gehört zum Repertoire, man streitet und sauft zusammen, und ab und zu gibt es eine Rauferei. Wie am Sonntag, dem vorletzten Tag des bislang friedlichen Wahlkampfs.

Die regierende SLPP (Sierra Leone Peoples Party) des Präsidenten Tejan Amhed Kabbah wollte ein letztes Mal in der Hauptstadt Freetown feiern. Vom Nationalstadium zogen ihre Anhänger dorthin, wo die meisten Hauptquartiere der neun zugelassenen Parteien des Landes liegen. Zwar gibt es zur Vermeidung von Gewalt ein Übereinkommen, dass keine Parteiaktivisten zum Sitz einer anderen Partei ziehen sollte. Doch diesmal hielten sich die SLPP-Anhänger nicht daran und marschierten zur Lightfoot Boston Street. Sie stürmten den Sitz der ehemaligen Rebellenbewegung RUF (Revolutionary United Front), die sich zur Partei RUFP gewandelt hat und an den Wahlen teilnimmt. Bis zu fünf Menschen sollen getötet worden sein. Gestern wurden die Straßen zum RUFP-Sitz abgeriegelt.

Die Regierungspartei traut den Exrebellen nicht über den Weg. Aber ohne den im Gefängnis sitzenden Rebellenchef Foday Sankoh werden diesen nicht viele Chancen eingeräumt. Hauptherausforder der regierenden SLPP ist, wie seit Jahrzehnten in Sierra Leone, die APC (All Peoples Congress). APC-Präsidentschaftskandidat Ernest Bai Koroma traut wiederum den Regierenden nicht. Der taz sagte er gestern, dass er noch immer auf eine Stellungnahme der Regierungspartei zu dem Zwischenfall von Sonntag warte. Auch seien die Wählerlisten nicht transparent. Als Koroma neue Wahlstatistiken zugereicht bekommt, ruft er sogleich bei der Wahlkommission an und beschwert sich.

In einer Wild-West-Stadt bedarf es ab und zu des Sheriffs und seiner Deputies. In Freetown gibt es viele davon: Die Verkehrspolizei, mit schwarzen Mützen; die Spezialpolizei, mit roten Barretts und Waffen; die normale Polizei, mit dunkelblauen Mützen und ohne Waffen; die Armee, mit grünen Mützen; und natürlich die Blauhelme der UN-Mission Unamsil, der größten UN-Friedenstruppe der Welt.

Die UN-Soldaten mit hellblauer Kopfbedeckung haben die schwersten Waffen. An jeder wichtigen Kreuzung, auf der Brücke zur tropisch grünen Halbinsel Aberdeen Village, wo die besten Hotels der Stadt liegen und die UNO ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat – überall sitzen Blauhelme hinter Sandsäcken unter einem Wellblechdach. An den Fähranlegern von Freetown nach Lungi, wo der internationale Flughafen ist, stehen indische UN-Soldaten. Die Fähre benutzen nur normale Sierra-Leoner. Angehörige der internationalen Gemeinschaft lassen sich vom Flughafen in einem von Ukrainern und Russen geflogenen Hubschrauber nach Aberdeen Village bringen.

Die Fähre ist interessanter. Die Leute sprechen offen. Viele wollen die APC-Opposition wählen, nennen die Regierung korrupt und tatenlos. Einige halten dem Präsidenten zugute, dass er dem Land Frieden gebracht habe. Andere widersprechen, dass das nicht Kabbah war, sondern die ausländischen Eingreiftruppen. Außerdem, meint einer: Wie könne ein 70-Jähriger ein Land regieren, in dem die Lebenserwartung bei 40 Jahren liegt?

Es herrscht Wechselstimmung. Viele bezweifeln, dass Kabbah es in der ersten Runde schafft. Bei einer Stichwahl könnten sich seine Gegner um APC-Führer Bai Koroma scharen. Aber nicht nur auf der Fähre sorgen sich viele um die Zukunft.

Zu einem neuen Krieg wird es wohl kaum kommen. Die RUF-Rebellen sind fast komplett von der UNO entwaffnet worden. Aber sie bluffen und spielen mit der Angst. Als am Sonntag RUFP-Anhänger ihre Büros vor den angreifenden SLPP-Anhängern schützen, halten sie neben langen Stöcken auch kleinere in den Händen, die zur Form eines Maschinengewehrs zusammengenagelt waren. Schwerter und Äxte, mit denen bei der letzten Wahl 1996 der Landbevölkerung Hände und Unterarme abgehackt wurden, waren nicht zu sehen – aber diese Andeutungen macht die RUFP zuweilen auf Wahlkampfveranstaltungen. Der Präsidentschaftskandidat der RUFP, Paolo Bangura, spricht von einem „Imageproblem“.