Reden macht sich nicht bezahlt


von ULRIKE WINKELMANN

Auf die Frage „Glauben Sie, Homöopathie wirkt?“, bekommt man leicht pampige Antworten. „Das ist keine Frage des Glaubens, das ist so“, sagt Andrea M. Sie hat sich von einer Homöopathin gegen ihre Schuppenflechte behandeln lassen und berichtet, dass zuvor alle Schulmedizin nichts dagegen auszurichten vermochte. Statt Cortisonsalben gab es bei der Homöopathin Tabletten zur Entgiftung von Nieren, Magen und anderen Innereien.

Andrea M., die als Journalistin immerhin gelernt hat, allem zu misstrauen, was man ihr erzählt, sagt, der gemessene Erfolg habe nichts mit Glauben, sondern mit Erfahrungen zu tun. „Im Übrigen bin ich auch mit meinen beiden hautkrankheitgeplagten Kindern hingegangen, und die sprachen super auf die Behandlung an.“ Billig war die Heilung freilich nicht – die Ärztin rechnete privat ab. Und während sie zunächst „Familienpreise“ veranschlagte, „hielt die nachher umso mehr die Hand auf“, sagt Andrea M. „Das war schon ein bisschen ärgerlich.“ Sie wechselte zu einem Kassenarzt, der neben schulmedizinischen auch homöopathische Mittel verschreibt. Das, sagt sie, funktioniere auch ganz gut.

Die Homöopathie produziert viele kleine Heilsgeschichten. Die Geschichten von der Wirkung, die die berühmten winzigen weißen Kügelchen hervorrufen, sprechen sich herum. Und ohne nennenswerten Werbeaufwand ist Homöopathie im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Wachstumsbranche geworden. Sie ist die beliebteste der so genannten alternativen Heilmethoden. Über siebzig Prozent der Deutschen geben an, dass sie gerne mit homöopathischen Mitteln behandelt werden wollen, hat die Apotheken Umschau ermittelt. Laut ihrer jüngsten Umfrage sagen 21,9 Prozent der Frauen, aber nur 12,5 Prozent der Männer, sie seien schon mal beim Homöopathen gewesen. Den Erfolg bejahen fast 80 Prozent.

Laufend erscheinen neue Studien, wonach Homoöpathie bei Kindern, Hunden, bei Hautkrankheiten, bei Allergien und überhaupt wirke. Das Deutsche Ärzteblatt, Hauspostille der Mediziner, brachte kürzlich einen Übersichtsartikel zur Wirksamkeit von Homöopathie bei Pollenallergien von Kindern.

Aber die Schulmedizin hat ihre Gründe, die Homöopathie auszusperren. Eine akademisch anerkannte Heilmethode ist sie noch lange nicht: An den Universitäten ist die Homöopathie noch nicht angekommen. Damit bleiben ihr die Ressourcen der Hochschulen verweigert, sowohl was die Reputation als auch was die finanzielle Forschungsausstattung angeht.

Als „Placebo“, also als Medikament ohne Wirkstoff, aber mit suggestiver Wirkung, bezeichnet sie etwa der Direktor des pharmakologischen Instituts der Medizinischen Hochschule Hannover, Jürgen C. Frölich. Natürlich wirkten auch Placebos – weil und solange der Patient daran glaube. Und was Tiere oder Kinder angeht, bei denen die Kraft des Glaubens beschränkt sein dürfte: „Je deutlicher einzelne Studien die Wirksamkeit der Homöopathie zu belegen meinen, desto unwissenschaftlicher wurden sie durchgeführt“, sagt Frölich. Ja, das gelte auch für die Erhebungen, die in renommierten Fachblättern wie der britischen Lancet veröffentlicht wurden.

„Die Studien, die die Wirksamkeit von Homöopathie mit der von Placebos vergleichen, haben den falschen Ansatz“, sagt dagegen Harald Walach. Der Privatdozent am Institut für Umweltmedizin an der Freiburger Universitätsklinik wertet einen großen Teil der Homöopathie-Versuchsprojekte aus, die in der Bundesrepublik durchgeführt werden. Die Daten von über 3.000 Ärzten und rund 2.000 Patienten laufen bei ihm zusammen.

Walach gibt zu, dass unter den Bedingungen der objektivierenden Forschung die Wirkung von Placebos und der Homöopathie sich einander annähern. Stichwort ist hier der so genannte Doppelblindversuch: Dabei bekommt eine von zwei Patientengruppen ein echtes Medikament, die andere Vergleichsgruppe ein Placebo. Wer was schluckt, wissen weder die Patienten noch die verabreichenden Ärzte – daher „doppelblind“. Aber mit dieser Standardmethode „wird die besondere Wirkung der ganzen Therapie ausgeblendet“, sagt Walach. „Es geht schließlich darum, dass es dem Patienten nach einer homöopathischen Behandlung besser geht.“ Walach hat daher in seiner – übrigens weltweit ersten, aber in Homöopathen-Kreisen bereits jetzt umstrittenen – Studie nicht nur die Wirkung der Medikamente, sondern der gesamten Therapie dokumentiert. Eine Veröffentlichung ist noch für dieses Jahr geplant. Nach Walachs Ansicht sind es die nichtmedikamentösen Effekte der Homöopathie, also etwa die langen und detaillierten Arzt-Patienten-Gespräche, die bislang unterschätzt wurden.

Doch nicht nur die Hochschulen wollen sich die Homöopathie vom Halse halten. Auch die Krankenkassen haben mehrheitlich nicht die Absicht, der alternativen Medizin auf die Sprünge zu helfen. Zwar haben einige Innungs- und Betriebskrankenkassen seit Mitte der Neunzigerjahre Modellprojekte durchgeführt, in denen den Versicherten Homöopathie bezahlt wurde; diese Modellprojekte produzieren die Daten, die bei Walach in Freiburg ausgewertet werden. Aber sie sind befristet, und das damit befasste Bundesversicherungsamt in Bonn will sie nicht verlängern. Man werde bestehende Projekte nicht weiter genehmigen, sagt die zuständige Abteilungsleiterin, Brigitte Vornehm-Berger. Sie nennt juristische Gründe, aber deutlich ist, dass das Bundesversicherungsamt dafür sorgen will, dass eine Kassenfinanzierung homöopathischer Leistungen gar nicht erst einreißt.

Das würde schließlich auch die großen Kassen zwingen, Homöopathie zu bezahlen. Und die stellen sich quer. Streitpunkt in der Finanzierungsfrage sind gerade die langen Gespräche, die Anamnesen. Sie sind im Gebührensystem, das zwischen Ärztevertretungen und Kassen ausgehandelt wird, nicht berücksichtigt. Darum muss Homöopathie immer noch zum größten Teil privat bezahlt werden. Kassenärzte, die von Homöopathie leben wollen, haben es schwer. Für die Erstanamnese, das erste Arzt-Patienten-Gespräch, das bis zu zwei Stunden dauern kann, verdient der Kassen-Homöopath nicht mehr als zum Beispiel der Orthopäde, der mit seinen Patienten oft noch nicht einmal die Begrüßungsformeln austauscht.

Seit Jahrzehnten kämpfen die Homöopathen deshalb darum, dass ihre Gespräche auch eine abrechenbare Größe werden, denn schließlich ist die Homöopathie im Sozialgesetzbuch ausdrücklich als eine zu erbringende Leistung aufgeführt. Und was eine gesetzliche Kassenleistung ist, müsste den Versicherten auch finanziert werden. Könnte man denken, und so haben auch schon viele Sozialgerichte geurteilt. Doch dies durchzusetzen, dafür erachten sich Gesetzgeber und Gesundheitsministerium – zumal seit Ablösung der Grünen Andrea Fischer durch die Sozialdemokratin Ulla Schmidt als Gesundheitsministerin – nicht verantwortlich. Noch im vergangenen Sommer erklärte Schmidt in einem Nebensatz die Förderung der Homöopathie zum Gegenstand einer Gesundheitsreform. Aber seither hüllt sie sich in Schweigen.

Mit Begeisterung wurde in der Homöopathen-Szene daher im vergangenen Januar die Botschaft begrüßt, dass der neue ärztliche Gebührenkatalog ein eigenes Homöopathie-Kapitel enthalte, wonach auch endlich die Anamnesen gemäß ihrem Zeitaufwand abgerechnet werden können. Mit dem neuen Katalog „steht die Aufwertung der Homöopathie bevor“, sagt auch der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Roland Stahl.

Einen Haken hat die Sache freilich: Der Katalog ist auf Eis gelegt. Wann er in Kraft tritt, ist vollkommen unklar. Das hängt nicht nur, aber auch an der Homöopathie. Denn zwar hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung zugestimmt, dass Arzt-Patienten-Gespräche beim Homöopathen einen anderen Stellenwert haben als beim Schulmediziner und deshalb auch anders berechnet werden müssen. Und die Kassenvertreter im „Bewertungsausschuss“, dem Gremium, das den Gebührenkatalog ausbaldowert, sehen das grundsätzlich wohl auch so. Aber sie wollen aus Gründen schrumpfender Einnahmen keinen extra Topf dafür zur Verfügung stellen. Und die Ärzte wollen aus den schon eingerichteten Töpfen nichts abgeben.

Es kann also noch eine ganze Weile dauern, bis eine ganze homöopathische Therapie zur normalen Kassenleistung und dadurch für die Mehrheit der Versicherten zur frei wählbaren Alternative wird. Angesichts der Misere der gesetzlichen Krankenversicherung sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Leistungen der Kassen erweitert werden. Im Gegenteil. Es könnte sich herausstellen, dass es nach der Wahl im September durchaus egal ist, welche Partei das Gesundheitsministerium besetzt. Wenn es nicht gelingt, mehr Geld in die gesetzliche Krankenversicherung einzuspeisen, werden die Krankenkassen versuchen, ihr Leistungsangebot einzuschränken.

Wie stark die Lobby der Homöopathen dann ist, wird sich zeigen müssen. Sollten die Gesundheitsbürokraten die Erfahrungen der Kassen mit Homöopathie einmal auswerten, dürfte ihnen auffallen, wie billig Homöopathie-Patienten auf lange Sicht sind. So hat etwa die kleine Hamburger Kasse Securvita BKK, die als einzige Kasse Homöopathie komplett bezahlt, herausgefunden, dass ihre Versicherten ausgesprochen wenig Krankenhauskosten verursachen. Securvita-Sprecher Norbert Schnorbach sagt: „Unsere Versicherten haben eine enge Bindung an den Arzt. Sie gehen häufig zum Homöopathen, aber selten ins Krankenhaus. Wir schließen daraus, dass gesundheits- und heilkundebewusste Menschen auf Dauer günstige Versicherte sind.“ Denn: Wer seinen Homöopathen hat, neigt nicht zum teuren Ärzte-Hopping mit Vielfachdiagnosen. Er schluckt weniger Medikamente und erkrankt daher nicht an Nebenwirkungen. Und das sind genau die Posten, die die Kassen derzeit belasten.