„Globalisierung droht den Globus zu zerstückeln“

„Chance, nicht Schicksal“, überschrieb Johannes Rau seine Rede zur Globalisierung. Wir dokumentieren die wichtigsten Auszüge:

Über Globalisierungskritiker

„Lange schon hat es nicht mehr eine so breite, internationale Protestbewegung gegeben wie die der Globalisierungskritiker. Erstmals seit Jahren finden sich wieder Menschen aus allen Erdteilen, Menschen ganz unterschiedlicher sozialer und politischer Herkunft für eine gemeinsame Sache zusammen: vom Bauern in Guatemala bis zur Studentin aus New York, vom Gewerkschaftssekretär aus Göppingen bis zum Kardinal von Genua. Die Bewegung hat viel angestoßen, sie stellt richtige Fragen. Das gilt auch dann, wenn es bei Demonstrationen immer wieder zu Gewalt kommt. Für alle muss gelten, dass Gewalt kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist.

Vernünftige Kritiker und vernünftige Befürworter der Globalisierung stehen einander nicht unversöhnlich gegenüber. Die Befürworter betonen Chancen. Die Kritiker wehren sich gegen Fehlentwicklungen und machen auf Gefahren aufmerksam. Kritik ist immer auch eine Art Frühwarnsystem, das Politik und Wirtschaft nicht ignorieren sollten.“

Über Freiheit und Markt

„Kein Mensch ist schon deshalb frei, weil er am Markt teilnehmen kann. Jeder Mensch aber verliert ein Stück seiner Freiheit, wenn er vom Markt ausgeschlossen ist. Nur der kann glaubwürdig für die Freiheit des Marktes eintreten, der sie als einen Teil der umfassenden menschlichen Freiheit begreift. Auch der Markt lebt von Voraussetzungen, die er nicht selber schaffen kann. Wenn jetzt der Markt global wird, dann brauchen wir auch Ordnungen, die weltweit die Freiheit der Menschen sichern. Dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Freiheit des globalen Marktes die Freiheit der Menschen nicht beschädigen kann. (…) Die Globalisierung ist noch gar nicht so global, wie sich das anhört: In den ärmsten Staaten der Welt leben heute 40 Prozent aller Menschen, ihr Anteil am Welthandel liegt unter 3 Prozent. (…) Da gibt es nichts herumzureden: Bisher droht die Globalisierung des Globus zu zerstückeln. Wir können den Markt niemals alleine von seinen beeindruckenden Ergebnissen für die Gewinner her beurteilen. Wir müssen immer auch fragen, wie diese Ergebnisse zustande gekommen sind.“

Über die Schuldenkrise

„Viel zu lange ist das Schuldenproblem der Entwicklungsländer nur als Problem zeitlich begrenzter Zahlungsunfähigkeit und nicht als strukturelles Problem verstanden worden. (…)Wir brauchen eine Insolvenzordnung für Staaten. Bei den bisherigen Versuchen, Schuldenprobleme zu lösen, treten die Gläubiger zugleich als Gutachter, Kläger und Richter auf. Ich bin froh darüber, dass auch im Internationalen Währungsfonds jetzt ernsthaft über Reformen gesprochen wird. Wenn es ein internationales Insolvenzverfahren gäbe, mit dem die Überschuldungsprobleme gelöst werden können, dann wäre das ein überzeugendes Signal für eine verantwortliche Gestaltung der Globalisierung. Wie bei einem privaten Konkurs sollte der Grundsatz gelten, die Geschädigten zu unterstützen und den Gestrauchelten wieder aufzuhelfen.“

Über Spekulation

„Heute haben 90 Prozent der Gelder, die täglich um die Welt zirkulieren, nichts mit dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu tun. Über zwei Billionen Euro, über zweitausend Milliarden, wechseln täglich aus spekulativen Gründen immer wieder den Ort. Das kann ganze Länder sozial und politisch destablisieren, ja das kann sie in den wirtschaftlichen Ruin treiben.

Inzwischen gibt es eine ganz große Koalition, der nicht nur bekannte Globalisierungskritiker, sondern auch Politiker aus allen Lagern und Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften angehören, die sich in einem einig sind: Wir müssen etwas gegen die Spekulation tun, und wir können auch etwas tun. Ich weiß nicht, ob die so genannte Tobin-Steuer auf Devisenspekulation das beste Instrument dafür ist. Ich weiß aber, dass die Politik dringend Instrumente für eine internationale Finanzmarktordnung schaffen muss, damit sie das Problem beherrschen kann.“