Treuloser Hirte

Von Landflucht und -sehnsucht: Das facettenreiche Kinderstück „Der Schäfer Raul“ im Fundus Theater

Welche Assoziationsfähigkeiten kann man von Vierjährigen erwarten, welche Themen ihnen zumuten? Eine immer wiederkehrende Frage im Kindertheater. Dass bei symbolträchtig zischenden Dampfloklauten im ICE-Zeitalter kein Kind Eisenbahn assoziiert, sollte auf der Hand liegen. Dass sie angesichts von fernreisenden Familien mit Flugzeuginnenleben und Stewardessen vertraut sind, kann man heute schon eher annehmen.

Und so scheut sich Petra Jaeschke nicht, ihr neues Solo Der Schäfer Raul im Fundus Theater quasi im Flieger zu starten. Als Chefstewardess begrüßt sie auf dem Flug zwischen Schottland und Hamburg. Und da der Bordfilm wegen defekter Monitore ausfällt, beschließt sie, die Geschichte selbst vorzuspielen. 45 Minuten wechselt sie zwischen einer Fülle von Rollen.

Da ist etwa der Schäfer Raul, dem seine 24 Schafe auf die Nerven gehen und der per Dampflok in die Stadt flieht. Dann gibt‘s die Verkäuferin, die Raul ein schönes Jackett verkauft, und die fesche Barbara, in die sich Raul fix verguckt sowie einen Polizisten, der die Schafe wegen Benagens von Drogerieartikeln und Gemüse zum Verhör schleppt.

Leider lässt Regisseurin Nada Louise Harvey ihre Akteurin zu oft hängen. Dem Spiel hätten mehr Tempowechsel und Lockerheit gut getan. Und im Spiel mit Taschen, Koffern, Decken-Schafen und anderen Kleinrequisiten hätte man sich oft mehr Klarheit gewünscht.

Dabei ist Eva Muggenthalers Geschichte von der Schafbande, die ihren treulosen Hirten in die Stadt verfolgt, durchaus originell. Der will nichts mit seiner ländlichen Vergangenheit mehr zu tun haben. Aber als seine neue Freundin Barbara die Schafe entdeckt, die sich inzwischen in Rauls Wohnung eingenistet haben, ist sie begeistert. So prallen Landflucht und -sehnsucht aufeinander. Aber bevor man erlebt, wie das zusammengeht, ist der imaginäre Flieger gelandet. Und Chefstewardess Dagmar Schmittbauer wünscht alles Gute für die weitere Reise.

Oliver Törner

Nächste Aufführungen: Fundus Theater, 15+16. Mai, 10 Uhr, tel 2507270