Schulreform aus Angst vor Pisa

■ Die Pisa-Länderstudie bringt „ganz schlechte Ergebnisse“ für Bremen, weiß Bildungssenator Lemke. Die SPD fordert daher die Ganztags-Grundschule. Nur am Geld fehlt's mal wieder.

„Mit Ganztagsschule gegen Elternversagen“, das ist die vierte These in der aktuellen Spiegel-Titelgeschichte über das deutsche Bildungssystem und seine notwendige Reform. Die SPD-Bildungspolitkerin Ulrike Hövelmann sagte das gestern so: „Erst die stufenweise Erweiterung der Verlässlichen Grundschule zur Ganztagsschule im Sinne einer pädagogischen Verbindung von Schul- und Erziehungseinrichtung eröffnet die Chance zur Qualitätsverbesserung der schulischen Bildung sowie zur Förderung der Chancengleichheit und zur Integration benachteiligter Schülerinnen und Schüler.“

Von der Veröffentlichung der länderspezifischen Ergebnisse der Pisa-Untersuchung am 1. Juli erwartet Bildungssenator Willi Lemke „ganz schlechte Ergebnisse“ für Bremen. Im Vorfeld dieser schlechten Nachrichten entwickelt Hövelmann einen großen Reformeifer: Die sieben Ganztags-Angebote an Schulzentren der Sekundarstufe 1 sind noch nicht finanziert, da kündigt sie schon den nächsten Schritt an: „Bereits zum kommenden Schuljahreswechsel sollen in Bremen mindestens zwei, möglichst mehr Grundschulen den Eltern ein Ganztagsangebot unterbreiten, im Jahre 2003 sollen es „mindestens zehn“ sein. Mittagessen, Arbeitsgruppen, Förderkurse sind nur der Anfang, es geht am Ende um eine andere Schule. Und das von der Grundschule an.

Bei der Finanzierung – im laufenden Etat 2002/2003 ist kein Geld dafür eingeplant – soll der Kanzler helfen. „Der Bund hat vier Milliarden Euro in Richtung Veränderung der Schullandschaft angekündigt“, berichtet Ulrike Hövelmann. Das würde für Bremen jährlich 10 Millionen Euro bis 2007 bedeuten – wenn Schröder die Wahlen gewinnt und seine Zusage finanziert bekommt. „Durchschaubar“ sei die vollmundige Ankündigung, nämlich als „Beitrag zum SPD-Wahlprogramm“, kontert denn auch CDU-Bildungspolitiker Claas Rohmeyer. Er erinnerte daran, dass auf einer Diskussionsveranstaltung jüngst der Vertreter des Bildungsministeriums Rheinland-Pfalz den Lemke darauf hingewiesen hatte, die Ganztags-Angebote dürften keinen „stigmatisierenden“ Charakter bekommen als Angebot in sozialen Brennpunkten.

Auf jener Veranstaltung hatte Lemke sehr deutlich gemacht, dass beim Bremer Investitionsprogramm ein klarer Kurswechsel stattfinden müsse, wenn seine bildungspolitischen Ziele finanzierbar sein sollten. „Wenn im kommenden Jahr ein Großprojekt zusammenkracht“, hatte Lemke formuliert, dann werde man darüber reden müssen.

„Der Gedanke, dass die Mutter nachmittags mit ihrem Kind Hausaufgaben macht, ist nicht mehr realitätsnah“, erklärt Frank Pietrzok, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, den sozialen Aspekt des Vorstoßes. Vorsichtig haben die beiden sich aber dem Gedanken genähert, dass das zu erarbeitende Konzept auch die Pädagogik grundlegend umkrempeln sollte. Kooperation mit den Kindergärten sei wichtig, meinte Pietrzok. Der Kindergarten muss stärker der Erkenntnis Rechnung tragen, dass Kinder in diesem Alter besonders leicht lernen – spielend eben. Und dann geht es nicht nur um die „Abhängigkeit zwischen sozialer Herkunft und Schulleistungen“, die den beiden sozialdemokratsichen Politikern ein besonderer Dorn im Auge ist. Auch die starren Strukturen des „Vormittagsunterrichts im 45-Minuten-Takt“ sollen überwunden werden, neue Formen selbstständigen und eigenverantwortlichen Lernens, Lernen in altersgemischten Gruppen und eine den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler entsprechende Förderung wären auch für Hövelmann die Stichworte dieser neuen Pädagogik. „Deutschland braucht eine neue Schulkultur“, fasst die Spiegel-These 6 zusammen. Anne Reinert/K.W.