Zur Bahamas-Front

Es ist nicht einfach, die „Antideutschen“ zu verstehen. Aber eines muss man den „Linkskommunisten“ lassen: Freunde brauchen sie nur wenige

von PHILIPP GESSLER

Es gibt nicht besonders viele Fans von „Bomber-Harris“ in Deutschland. Der britische Luftmarschall Arthur Harris hatte während des Zweiten Weltkriegs die geniale Idee, die Wohnviertel größerer Städte bombardieren zu lassen, um den Widerstandsgeist der Deutschen an der Heimatfront zu brechen. Allein in Dresden kamen bei einem dieser Bombardements, der „Operation Donnerschlag“, 25.000 Menschen ums Leben: in nur einer Nacht, nämlich der vom 13. auf den 14. Februar 1945, weniger als drei Monate vor Kriegsende. Vor zehn Jahren wurde in London ein Denkmal zu Ehren des so überaus erfolgreichen Marschalls enthüllt, der schon 1923 seine bombige Strategie bei kurdischen Aufständischen gegen die britische Herren erprobte. Ein vergrößertes Foto des Denkmals von „Bomber-Harris“ hängt neben einem Computer der Bahamas-Redaktion in einer Kreuzberger Altbauwohnung.

Ist das Foto Ironie? Horst Pankow (45) bläst kurz zwischen seine Lippen durch und sagt: „Die Bombardierungen von deutschen Städten im Zweiten Weltkrieg waren notwendig für den Sieg über den Nationalsozialismus, weil nicht nur so gut wie kein Widerstand in Deutschland existierte, vielmehr die Mehrheit der Deutschen sich mit dem NS-Vernichtungsprojekt identifizierte.“ Dresden als Strafe für Auschwitz also. Willkommen bei den Antideutschen!

Die Antideutschen, gruppiert um die drei- bis viermal jährlich erscheinende Zeitschrift Bahamas, sind derzeit so populär wie selten in ihrer rund siebenjährigen Geschichte – und so verhasst wie nie. Als sie am 10. April zusammen mit dem „Berliner Bündnis gegen IG Farben“ und den „Antideutschen Kommunistinnen“ eine proisraelische Veranstaltung organisierten, kam es zu Handgreiflichkeiten mit linken Palästina-Freunden. Die Bahamas-Redakteure sagen, dabei habe einer der Palästina-Fans sogar ein Springmesser gezückt. „Wann hat es das zuletzt gegeben, dass hier in Berlin eine prozionistische Veranstaltung angegriffen wurde?“, fragt Pankow bitter.

„In Publikationen wie indymedia findet man Sprüche wie ‚Schlagt die Antideutschen, wo ihr sie trefft‘“, sagt Karl Nele (40), ein anderer Bahamas-Redakteur, der sich nach längerem Überlegen bereit erklärt, der von ihm nicht gerade heiß geliebten taz ein Interview zu geben. „Wir haben schon früh gesehen, dass wir mit regelrechtem Hass von Seiten traditioneller Linker zu rechnen hätten.“

Warum dieser Hass? Vielleicht, weil Kritik besonders wehtun kann, wenn sie von Leuten kommt, die man eigentlich mag. Und wahrscheinlich, weil an den Vorwürfen der Antideutschen gegen ihre Genossen auf der Linken mindestens ein Korn Wahrheit steckt – verdrängte Wahrheit wohlgemerkt. Oder wie es Karl Nele sagt: „Wir halten der Linken den Spiegel vor. Wir zeigen ihr Gesicht kurz vor dem Aufstehen, wenn es noch nicht geschminkt ist.“ Alles klar?

Das Ganze ist ziemlich kompliziert – und wenn man sich mit Pankow und Nele unterhält, bereut man es doch sehr schnell, seinen Marx nicht ganz so gründlich gelesen zu haben. Denn die Antideutschen verstehen sich nach eigenen Angaben als „Linkskommunisten“, die von einer Grundthese ausgehen: „Die ideologische Verfassung Deutschlands gehört destruiert“, sagt Nele, „die deutsche Ideologie ist die völkische Ideologie.“ Diese, sagen wir spaßeshalber, Weltanschauung herrsche schon lange vor: „Bereits die deutsche Staatsgründung 1871 war ein antiwestliches, antidemokratisches und antisemitisches Projekt“, betont Pankow. Und seitdem habe es nie entscheidende Opposition gegen diese ethnisch begründete Politik-Maxime gegeben: „Das völkische Prinzip ist bestimmend in der deutschen Politik. Dagegen gibt es auch auf der Linken keinen richtigen Widerspruch.“

Kampf gegen das „völkische Prinzip“, darum dreht sich die Argumentation der Antideutschen – und schraubt sich herauf zu einer geradezu weltweiten Bedrohung: „Deutschland hat eine ideologische Vorherrschaft gewonnen“, sagt Nele, „mit seinem völkischen Prinzip will es zur Gestaltungsmacht im Weltmaßstab werden.“ Überschätzen die Antideutschen dieses Land in der Mitte Europas nicht gnadenlos? „Wir wünschen uns, dass wir Deutschland in seiner Bedeutung überschätzen“, hält Nele dem entgegen, „aber leider ist es wohl nicht so.“

Fast unnötig zu erwähnen, dass die Antideutschen die derzeitige Regierung natürlich vehement ablehnen: „Das rot-grüne Projekt der deutschen Friedfertigkeit bedeutet Frieden schaffen durch völkische Segregation wie bei der Zerstörung Jugoslawiens oder UN-Truppen bezeichnenderweise – wie kürzlich von Schröder vorgeschlagen – nach Israel schicken zu wollen.“

Hier klingt ein weiteres Hauptmotiv der Antideutschen an, eines, durch das sie vielen Linken so heftig aufstoßen: ihre Begeisterung für Israel, ihre Ablehnung eines Staates Palästina: „Wir finden es notwendig, dass Israel gegründet wurde und sich nun verteidigt. Wir sehen keine Möglichkeit eines friedlichen palästinensischen Staates, weil die politischen Strukturen der palästinensischen Selbstverwaltung äußerst autoritäre sind“, erklärt Pankow. Oder noch knapper (und nach antideutscher Logik vernichtender): „Der Staat Palästina soll als völkisches Projekt entstehen“, wie Nele es sagt.

Viel Feind, viel Ehr – nach diesem Motto scheinen die Antideutschen sich selbst zu definieren. „Wir werden wieder mehr gelesen“, freut sich Nele, „wir haben für viele Diskussionen Marksteine setzen können.“ Und der nächste Streit mit den Genossen ist schon programmiert: „Bei der Anti-Bush-Demonstration kann es zu einem Bündnis der Faschisten und Antiimperialisten kommen“, sagt Nele voraus: „Die Feindschaft gegenüber Israel gibt der Anti-Bush-Demonstration Rückenwind.“ Noch mehr gefällig? „Attac macht die Palästinensertücher wieder populär.“ Die Antideutschen sind – sorry! – doch verdammt deutsch.