: Frau Dr. Floraks Eselsbrücke
Lehrer, die wir laufen ließen (3). Heute: die Pädagogin am bischöflichen Demoisellen Lyceeum
Frau Dr. Florak war die Mathelehrerin, die uns nach dem kollektiven Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium vor die Nase gesetzt wurde. Ich war 10 und sie war damals wahrscheinlich um die 50 Jahre alt und sollte sehr schnell meine Nemesis werden. Diese Basset-Fratze mit den hängenden Augenliedern, den hängenden Mundwinkeln und den hängenden Wangenlappen werd ich mein Lebtag nicht vergessen! Wenn man vor einem Menschen Angst hat, so sagt die Legende, muss man ihn sich nur nackt vorstellen. Meine Versuche, diese entsetzliche Angst vor Frau Dr. Florak mit diesem Trick zu mindern, scheiterten kläglich und verkehrten sich grauenvoll ins Gegenteil! Dieses Weibsstück war und ist für mich der Inbegriff des absoluten Bösen, und wo sollte sich das absolute Böse lieber herumtreiben wollen, als an einem katholischen, bischöflichen Demoisellen Lyceeum in der Satanszentrale Münster/Westf.?
Mein Unglück begann direkt in der allerersten Mathematikstunde auf der neuen Schule. „Guten Morgen, liebe Kinder“, schnarrte Frau Dr. Florak mit ihrer grässlichen Stimme, die in mir auch noch in der Erinnerung ähnlich unangenehme Gefühle erweckt wie das Heulen eines Zahnarztbohrers. „Guten Morgen, Frau Dr. Florak“, krähte es 30fach zurück. Frau Dr. Florak schrieb ihren Namen an die Tafel und erklärte uns, was man unter einer „Eselsbrücke“ versteht. Dann wollte sie von uns wissen, ob einer von uns eine hübsche Eselsbrücke einfiele, damit wir uns ihren Namen leichter merken könnten.
Ich schnippte aufgeregt mit den Fingern, denn mir war etwas eingefallen, und Frau Dr. Florak nahm mich sofort dran. „Floh und Kacke“ rief ich stolz, denn ich war die Erste, der etwas eingefallen war! Es war gar nicht bös gemeint, jedoch war es der Anfang des Endes meiner Laufbahn als Nonnenschülerin. Frau Dr. Floraks Blick, der sich in meine unschuldigen Kinderaugen bohrte, war nicht eisig, nein, er sprach Bände! Der Blick sagte: „Okay Herzchen, du hast einen Fehler gemacht, den du noch lange bereuen wirst! Genauer gesagt, wirst du diesen Fehler so lange bereuen, wie du auf dieser Schule bist! Aber ich will schon dafür sorgen, dass du nicht allzu lang auf dieser Schule bleiben wirst! DU und ICH, wir sind ab heute FEINDE!“
Dann ging das Martyrium los! Ich war in Mathe eher scheiße. Das war eine Schwäche, die Frau Dr. Florak mit erkennbarem Entzücken recht schnell ortete und sofort für ihr sadistisches Interesse zu nutzen wusste. Was dann kam, war eine Vorahnung der Hölle, die uns in den morgendlichen Messen und Gebeten erst nach unserem Ableben angedroht wurde! Jede Mathematikstunde begann mit dem immer gleichen Satz: „Fangen wir mit den Hausaufgaben an.“ Dieser Satz trieb mir stets Schauer des Entsetzens über die Haut, denn ich wusste, was mich erwartete. Frau Dr. Florak hatte die Angewohnheit, gern mal die Aufgabenheftchen von Schülerinnen zynisch zu kommentieren, und in 90 % der Fälle war ich dran: „Allein dieses Geschmiere“, sagte sie stets, „Wisst ihr eigentlich, dass man den Charakter eines Menschen an seiner Handschrift erkennen kann?“ Und dann ging es weiter: Meinen üblen Charakter könne man also an meiner grauenvollen Handschrift erkennen, meine schlechte Herkunft sei ja schon durch einen einzigen Blick auf meine bescheidene Kleidung ersichtlich und meine Dummheit erschlösse sich durch die vielen Fehler in meinen Hausaufgaben. Mit so einer wie mir solle man sich besser nicht abgeben und sie, Frau Dr. Florak, verstehe sowieso nicht, wie man so was wie mich überhaupt auf dieses schöne, bischöfliche Mädchengymnasium hatte aufnehmen können.
Die wohlhabenden und bigotten Bauerstöchter, die schon in der ersten Stunde „Flora – die Blume“ als eine angemessenere Eselsbrücke erachtet hatten als „Floh und Kacke“, rückten von mir ab, nur zwei oder drei Klassenkameradinnen hatten keine Angst, ich könne entweder den Teufel oder die Krätze übertragen. Von ihnen begann ich morgens vor der Schule die Hausaufgaben abzuschreiben. Das war keine gute Idee, denn Frau Dr. Florak roch den Braten und folterte mich vorne an der Tafel umso grausamer weiter – zur großen Freude der braven Bauerstöchter.
Morgens beim Aufwachen hatte ich Angst vor der Schule. Abends konnte ich nicht einschlafen, weil ich mich vor dem nächsten Morgen fürchtete. Lieber wäre ich tot gewesen als in Frau Dr. Floraks Hölle gehen zu müssen!!! Nach zwei Jahren hatte Frau Dr. Florak mich und meine hilflose Familie mürbe gemacht, und ich verließ Frau Dr. Floraks schönes Demoisellen Lyceeum. Jahre später las ich in der Zeitung, dass sie eines friedlichen Todes gestorben war.
CORINNA STEGEMANN
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