Klinikärzte sind ausgepowert

Ärzte klagen über Überlastung wegen langer Arbeitszeiten. Mit Bereitschaftsdiensten wird Personalmangel kompensiert. Schichten können 32 Stunden dauern. Heute beginnen Tarifverhandlungen über Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern

von TIMO BLÖSS

Es ist wieder so weit: Erneut treffen die Tarifparteien Marburger Bund und der Verband der kommunalen Arbeitgeber heute aufeinander, um über neue Arbeitszeitmodelle für Krankenhausärzte zu verhandeln. Die zentrale Forderung der Ärzte ist „die Anerkennung des Bereitschaftsdienstes im Krankenhaus als Arbeitszeit“, sagt Lutz Hammerschlag, der für den Marburger Bund in Köln am Verhandlungstisch sitzt.

Eine Neuorganisation der Arbeitszeiten in den Kliniken erscheint dringend notwendig. Seit längerem schlagen die Kliniken Alarm: Ärztemangel droht, denn es mangelt an Ärztenachwuchs. 20 Prozent der Medizinstudenten brechen ihr Studium vorzeitig ab, weitere 20 Prozent verweigern nach absolviertem Studium die Arbeit im Krankenhaus als Arzt im Praktikum (AiP).

Hauptgrund für die hohe Ausstiegsquote, so Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Marburger Bundes, „ist die Überlastung der Klinikärzte“. Selten hält man sich in den Krankenhäusern an geltende Arbeitszeitbestimmungen, über 10 Stunden Arbeitszeit pro Dienst seien normal, erklärt Montgomery. Der Personalmangel in den Kliniken wird über Bereitschaftsdienste der Ärzte kompensiert, 32-Stunden-Dienste sind damit unausweichlich.

Bereits im Oktober 2000 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer Klage spanischer Klinikärzte festgestellt, dass Bereitschaftsdienste keine „Ruhezeiten“ sind und somit die auch in Deutschland gängige Verknüpfung von normaler Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst unrechtmäßig ist. Bisher jedoch wurden die Leitlinien des Urteils in Deutschland nur in ganz wenigen Häusern ernst genommen: Wo deutsche Gerichte das EuGH-Urteil bestätigten, etwa in Kiel oder Herne, konnten Klinikärzte Verbesserungen erreichen.

Eine entsprechende Änderung des Arbeitszeitgesetzes, wie auch von den Ärzten vielfach verlangt, ist freilich im Gesundheitsministerium nicht auf der Tagesordnung. Lediglich im Rahmen des Fallpauschalengesetzes stellt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Kliniken 200 Millionen Euro zur Verbesserung der Arbeitssituation für die Jahre 2003 und 2004 in Aussicht. Mehr gibt es nicht, die Krankenhäuser sollten gefälligst selbst erst einmal Reformen in Angriff nehmen, heißt es aus dem Ministerium. Staatssekretär Schröder fordert, „den pragmatischen Weg der Umsetzung“ der Urteils zu gehen. Über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, sagt er, könnten schon jetzt neue Arbeitszeitmodelle erprobt werden.

Die Arbeitgeber wollen weiter an den Bereitschaftsdiensten festhalten, bis die Rechtslage abschließend geklärt ist. So lange halte man sich an das derzeitige Arbeitszeitgesetz. Zudem, schätzt Dr. Burghard Rocke, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), erfordere die Umsetzung des EuGH-Urteils in Deutschland jährlich 1,7 Milliarden Euro, 27.000 weitere Arzt- und ca. 14.000 weitere Pflegerstellen. Das, so Rocke weiter, „gibt der Arbeitsmarkt nicht her“.

Der Marburger Bund hat andere Zahlen produziert: Die Gewerkschaft der Krankenhausärzte fordert, den Bereitschaftsdienst zu 100 Prozent als Arbeitszeit zu werten und diese bei einer 40-prozentigen Arbeitsbelastung nachts und am Wochenende auf maximal 12 Stunden zu begrenzen. Dafür, sagt Montgomery, fehlen den Krankenhäusern etwa 15.000 neue Arztstellen, den finanziellen Mehrbedarf beziffert er auf 0,5 bis 1,5 Milliarden Euro.

Auf die Ergebnisse der Tarifverhandlungen, die voraussichtlich im Juni weitergeführt werden, darf man also gespannt sein: Unklar ist, inwieweit die Ärzte neuen Arbeitszeitmodellen überhaupt zustimmen. Denn die Kliniken zahlen für weniger Arbeit auch weniger Geld.

Montgomery ist zuversichtlich: „Wenn man mit Tarifverträgen dasselbe erreichen kann wie mit gesetzlichen Regelungen – vor allem aber schneller –, dann sind wir dafür.“