Schröder wird ein Sozi

Die SPD nimmt verwundert zur Kenntnis, dass ihr Vorsitzender die Partei entdeckt

aus Berlin JENS KÖNIG

„Ein Gespenst geht um in Europa“, sagt Gerhard Schröder, und plötzlich geht ein Raunen durch den Saal. Genau das hat der Kanzler erwartet, und so schiebt er nach einer kleinen Pause die Erklärung hinterher. „Nein, nein, ich meine nicht das Gespenst von Karl Marx, sondern das Gespenst des erstarkenden Rechtsradikalismus.“ Das wäre ja noch schöner gewesen: Der ehemalige Juso-Chef entdeckt den Marxismus wieder. Vorerst begnügt sich der Kanzler damit, sich seinen sozialdemokratischen Freunden wieder als einer der ihren zu präsentieren. Das will ja schließlich schon etwas heißen bei einem, für den der Kampf um die politische Macht immer auch ein Kampf gegen die eigene Partei gewesen ist. Und der noch vor zwei Wochen die Entscheidung im Herbst auf eine schlichte Frage reduzierte: er oder ich. Nichts war da mit SPD.

Die Metamorphose des Kanzlers Gerhard Schröder zum Wahlkämpfer Gerhard Schröder kann man an diesem Dienstagvormittag in Berlin-Kreuzberg besichtigen. Hier, im Deutschen Technikmuseum, spricht Schröder über die Globalisierung, und man hört aus dem Mund des optimistischen Machers ganz ungewöhnliche Sätze. „Die Globalisierung weckt Ängste“, sagt er. „Damit umzugehen, ist die entscheidende Frage der nächsten Monate und Jahre.“

Am Abend zuvor, im Willy-Brandt-Haus, hat die Partei von ihrem Vorsitzenden ähnliche Überzeugungen vernommen, und das gleich dutzendfach, eine sozialdemokratischer als die andere. Die SPD hatte rund 300 Parteifunktionäre nach Berlin eingeladen. Nicht die knappe, militärische Ausgabe von Wahlkampfparolen nach Art des Generalsekretäts Franz Müntefering war angesagt, sondern Motivation und Mobilisierung des Parteiapparates. Das hat die SPD auch bitter nötig. Die Umfragen sind im Keller, die Stimmung an der Basis ist schlecht, und Stoiber ist nicht so rechts, wie es die Sozialdemokraten gerne hätten. Die Partei registriert mit einem Anflug von Panik, dass ihre bisherige Wahlkampfstrategie nicht aufgeht.

Was lag da näher für Schröder, als seinen verunsicherten Genossen Mut zu machen – vor allem aber, sie auf seinen neuen Kurs einzuschwören. Nicht mehr Personalisierung ist jetzt angesagt, sondern Politisierung. Dabei setzt Schröder im Kern auf drei Elemente. Er verteidigt das sozialdemokratische Gesellschaftsmodell. Er greift Union und FDP ohne Rücksicht auf Verluste an. Und er setzt auf das Wir-Gefühl der SPD.

Das, was der SPD-Vorsitzende am Montagabend seinen Genossen sagte, wird sich ab jetzt in fast jeder seiner Reden wiederfinden. Schröder wirft der Union Verlogenheit vor. Ihre Vorschläge zur Steuer- und Finanzpolitik hält er für nicht finanzierbar, ihre Vorschläge zur Reform der Sozialsysteme für sozial ungerecht. Fast noch schärfer attackiert Schröder die FDP. Ihr wirft er nicht nur „Mätzchen“ und eine „Infantilisierung der Politik“, sondern angesichts ihres Spiels mit dem Antisemitismus sogar eine „Haiderisierung“ vor. Inhaltlich steht die FDP seiner Meinung nach für die „Zerschlagung des europäischen Sozialstaatsmodells“.

Bei der Zusammenkunft am Montagabend waren die Genossen begeistert. Vielleicht sind sie angesichts ihrer Lage ja zum Optimismus verdammt, aber vielen schien ihr Vorsitzender tatsächlich aus dem Herzen gesprochen zu haben. Vor allem die Orientierung auf die inhaltliche Auseinandersetzung fand bei den Funktionären Zustimmung. „Die Partei saugt das auf wie ein trockener Schwamm“, sagt die Parteilinke Andrea Nahles. Sie findet, Schröder sei wie ausgewechselt, „wie aus einem Dornröschenschlaf erwacht“. Das Vorstandsmitglied Hermann Scheer glaubt, der Kanzler habe seinen politischen Instinkt wiedergefunden.

Dafür spricht, dass Schröder seinen Kurswechsel auch gleich in einem Interview erklärt, das morgen im Stern erscheint. „Jetzt gibt es eine Auseinandersetzung über die Frage, wer die überzeugenderen Programme hat“, sagt er. „Wenn die heiße Phase des Wahlkampfes beginnt, Mitte August, wird der SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler gegen den Ministerpräsidenten Bayerns stehen. Aber nicht nur: der oder ich. Es wird eine Personalisierung geben vor der Frage, wer das bessere inhaltliche Angebot hat.“ Kampa-Chef Matthias Machnig, der in diesen Tagen viel kritisierte Wahlkampfmanager der Partei, hat für die neue Strategie schon wieder eine griffige Formel parat. Bei ihm heißt das „personalisierter Richtungswahlkampf“.