„Ich habe überlebt“

Bahnrad-Olympiasieger Robert Bartko treibt seine mühevolle Straßenkarriere bei der Friedensfahrt voran

BERLIN taz ■ Am Anfang gab es ein Gerücht, und dieses Gerücht ging so: Walter Godefroot, der sportliche Leiter von Team Telekom, habe Robert Bartko nach Olympia gar nicht unbedingt verpflichten wollen, sondern dies auf ausdrücklichen Wunsch von ganz oben getan. Der Potsdamer Bartko, so soll es aus der Konzernspitze geklungen haben, sei schließlich Olympiasieger, und so einer müsse einfach das magentafarbene Trikot der Telekom durchs Land tragen.

Robert Bartko, Doppelolympiasieger von Sydney auf der Bahn, beäugt sein Gegenüber zunächst ein wenig skeptisch, wenn er auf das Gerücht angesprochen wird. Dann breitet sich ein Lächeln auf seinem braun gebrannten Gesicht aus und er sagt: „Ja, so ist mir die Geschichte auch zu Ohren gekommen.“ Und noch bevor man weiter nachfragen kann, ob er sich dadurch nicht in seiner Olympiasiegerehre gekränkt gefühlt habe, sagt der 26-Jährige: „Es ist doch egal, wie der Vertrag mit Telekom zustande gekommen ist. Er ist eine Chance für mich.“

Seit eineinhalb Jahren radelt Bartko jetzt also auf der Straße, und in dieser Zeit ist es doch auffällig still um ihn geworden. Selbst in den Ergebnisspalten der Zeitungen kam der Olympiasieger nur noch ganz hinten vor – wenn überhaupt; von Siegen oder sonstigen Erfolgen gab es schon gleich gar nichts mehr zu berichten. „Mit Leistungen habe ich ja nicht so geglänzt“, sagt Bartko dazu nur. Ein 10. Rang im Zeitfahren bei „Midi-Libre“ war’s in seiner ersten Straßensaison, ein Sieg bei einem Kleinstkirmesrennen in Kassel. Das ist nicht eben viel bei 77 Starts, für Aufregung im Lande Ullrichs und Zabels sorgt es schon gleich gar nicht.

Allzu düster will Bartko seine Bilanz aber nicht malen, schließlich hat er von Anfang an gewusst, dass er in dem neuen Metier „mit Siegen und vorderen Plätzen nichts zu tun haben werde“. Und überhaupt: „Ich habe viel gelernt und ich habe den Spaß nicht verloren.“ Das ist ihm wichtig, noch weitaus wichtiger aber ist: „Ich habe überlebt.“

Das mag sich flapsig anhören, so ganz selbstverständlich ist es für einen, der von der Bahn auf die Straße wechselt, freilich nicht. „Wenn einer da im ersten Jahr plötzlich 100 Rennen fahren muss, kann er physisch und psychisch leicht einen Knacks bekommen“, sagt beispielsweise Udo Bölts, mit zehn Tour-de-France-Teilnahmen so etwas wie der Grandseigneur der Telekom. Was die Sache mit der Psyche angeht, kann Bartko dem Kollegen zwar nicht zustimmen, das mit der Physis aber stimme „auf jeden Fall“. „Man ist einfach überfordert. Man kommt gar nicht mehr dazu, sich zu erholen“, sagt der Mann aus Potsdam.

Dabei ist es noch nicht einmal die Trainingsbelastung, die Bartko anfangs so mitgenommen hat, die war auf der Bahn auch nicht ohne. Zu knabbern hatte er vielmehr an der Zahl der Wettkämpfe – und an deren Intensität. Wenn er früher zu Trainingszwecken bei Amateur-Straßenrennen mitgefahren ist, wurde dort meist irgendwo unter der 40-Stundenkilometer-Marke durchgestrampelt. Bei den Profis geht es ganz anders zur Sache: Da sind die 40 km/h Ausgangsbasis – und darauf gesteckt werden wilde Attacken und Tempowechsel, die einer erst mal verkraften muss, zumal wenn er von der Bahn kommt und diese Art der Belastung kaum gewohnt ist, auch muskulär. Kompakt und schnellkräftig müssen die Muskelpakete beim Bahnradfahren sein, viel schlanker und ausdauernder auf der Straße. „Der Körper muss sich völlig umstellen“, sagt Bartko, seiner hat es unter anderem durch sechs Kilo Gewichtsverlust getan. 79 Kilo wiegt Bartko jetzt – bei 186 Zentimeter Körpergröße. Dass der 26-Jährige damit noch immer zu den Schwergewichten im Radzirkus zählt, ist ihm freilich bewusst. Die großen Rundfahrten mit ihren Berggipfeln werden auch in nächster Zukunft mehr Traum denn Realität bleiben: „Im Moment sind Tour oder Giro nicht realistisch“, sagt er.

Warum aber macht einer das? Warum degradiert sich ein Meister eines Fachs zum Lehrling in einem anderen? Das braun gebrannte Gesicht lächelt wieder, diesmal milde, weil er die Frage dauernd zu hören bekommt. Was soll ein Sportler, der mit 24 Weltmeister und Olympiasieger war, anderes tun als: sich „neue Ziele zu stecken“. „Als Sportler braucht man das doch“, sagt Bartko.

Noch hat er sein neues Ziel nicht erreicht, seine Chance läuft noch bis Ende des Jahres, dann endet sein Vertrag bei Telekom. Bartko fühlt sich gut zurzeit. Bei der gerade laufenden Friedensfahrt lag er nach der 7. Etappe auf Rang 15, die letzte Etappe der Niedersachsen-Rundfahrt Ende April hatte er sogar gewonnen. „Mein erster richtiger Sieg bei den Straßenprofis“, freute sich der Potsdamer darüber wie der Schneekönig persönlich.

„Ich bin überzeugt davon, dass er es schafft. Die PS hat er ja im Körper“, sagt Udo Bölts. Und Walter Godefroot klingt gar euphorisch: „Ich bin davon überzeugt, dass Robert auch auf der Straße ein Großer werden kann. Man muss ihm einfach Zeit geben.“ Und wenn es nicht klappt? Noch einmal fliegt ein Lächeln auf Bartkos Gesicht, während er sagt: „Darüber habe ich mir noch gar nicht so Gedanken gemacht.“ Warum auch? FRANK KETTERER