Lila Koalition abgewählt

Bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden gewinnt der „Christdemokratische Appell“, auf Platz zwei landet die Partei des ermordeten Rechtspopulisten Fortuyn. Sie hat zwar die Probleme des Landes angesprochen, doch Lösungen hat sie nicht

von HENK RAIJER

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche haben Hollands Wähler demonstrativ gezeigt, dass sie die altgedienten Politiker samt ihrer Politik gründlich satt haben. Gingen die Holländer am Freitag letzter Woche in großer Zahl auf die Straße, um anlässlich der Trauerfeier für den ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn den Vertretern der Traditionsparteien ihre Meinung zu den Verfehlungen Den Haags um die Ohren zu hauen und ihnen sogar die Verantwortung für den Mord anzulasten, verpassten sie am Mittwoch der amtierenden Mitte-links-Koalition einen weiteren, empfindlicheren Denkzettel: Bei der Parlamentswahl vom Mittwoch haben Sozialdemokraten (PvdA), Linksliberale (D66) und Rechtsliberale (VVD) eine dramatische Niederlage hinnehmen müssen. Die PvdA, 1998 mit 45 Sitzen noch stärkste Fraktion, rutschte auf 23 Sitze ab, D66 (1998: 14) bekam nur noch 7, die VVD (1998: 38) musste sich mit 23 Mandaten zufrieden geben. Mehr als ein Ja zum wiederauferstandenen „Christdemokratischen Appell“ (CDA), der mit 43 (von 150) Sitzen zum überragenden Wahlsieger wurde, ist der Ausgang der Wahl daher ein Nein zu acht Jahren „lila“ Koalition unter Ministerpräsident Wim Kok. Dessen Politik hatte während des letzten halben Jahres am lautesten Pim Fortuyn aufs Korn genommen, der mit seinen regierungskritischen, aber auch ausländerfeindlichen Sprüchen („Das Boot ist voll“, „Der Islam ist eine rückständige Kultur“) die niederländische Gesellschaft aufs Heftigste polarisiert hatte. Seine erst im Februar gegründete „Lijst Pim Fortuyn“ (LPF), seit dem Anschlag vom 6. Mai ihrer charismatischen Führungsfigur beraubt, wurde mit 26 Sitzen auf Anhieb zweitstärkste Kraft in der Zweiten Kammer – hauptsächlich weil Pim Fortuyn die Probleme offen benannt hat, die die Niederlande trotz boomender Wirtschaft lähmten: Lehrermangel in den Schulen, Staus in den OPs und im Schienenverkehr, der Preisanstieg bei erzwungener Lohnmäßigung und die verordnete Political Correctness Minderheiten gegenüber, die selbst nichts täten, um das Zusammenleben zu verbessern. Letzteres Folge einer aus dem Ruder gelaufenen Duldungspolitik, einer falsch verstandenen Liberalität, die im Falle einer Regierungsbeteiligung der LPF womöglich Gegenstand heftiger Diskussionen werden könnte.

„Die Botschaft der Wähler ist hart und eindeutig“, befand gestern PvdA-Chef Ad Melkert, dem wegen seines „Imagedefizits“ schon vor der Wahl von seiner Partei nahe gelegt worden war, auf ein Amt in der künftigen Regierung zu verzichten, sollte sich diese Frage stellen. „Es ist besser, dass andere die Verantwortung übernehmen“, sagte Melkert. Auch der Kandidat der Rechtsliberalen, Hans Dijkstal, zog die Konsequenz aus dem für seine Partei vernichtenden Wählerurteil und stellte den Fraktionsvorsitz zur Verfügung.

Strahlender Wahlsieger indes ist Jan Peter Balkenende (45). Er dürfte der nächste Ministerpräsident der Niederlande sein, nachdem seine Partei CDA im Auftrag der Königin die Koalitionsverhandlungen erfolgreich zu Ende gebracht haben wird. Obwohl der Wirtschaftsprofessor aus Capelle an der Ijssel (siehe Porträt auf Seite 13) am Wahlabend keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben hat, ob er Ministerpräsident werden wolle, sagte Balkenende: „Ich bin motiviert, mit anderen Parteien Verantwortung zu übernehmen. Dazu muss erst mal verhandelt werden. Das wird schwierig genug. Aber ich bin nicht jemand, der sich vor seiner Verantwortung drückt.“

Als Partner kämen für den christdemokratischen Premier in spe die Rechtsliberalen und die „Lijst Pim Fortuyn“ in Frage. Eine Ehe mit der Protestpartei Fortuyns wäre freilich nicht ohne Risiko für Balkenende, ist sie doch eine Truppe, deren Programm für die Zukunft bislang nur Pim Fortuyn hieß. Lösungen für die drängenden Probleme des Landes hat die zweite Garde der LPF, die sich vergeblich gegen das Label „rechtsextrem“ wehrte, bislang nicht angeboten.