USA ignorierten Terrorwarnungen

Die amerikanischen Geheimdienste warnten die Regierung vor dem 11. September vergeblich vor Flugzeugentführungen. Die Bedeutung eines Dossiers über Al-Qaida-Anhänger wurde nicht erkannt. Das FBI bedauert mangelnde Analysefähigkeiten

aus Washington MICHAEL STRECK

Die US-amerikanischen Geheimdienste haben Präsident George W. Bush vor dem 11. September gewarnt, dass Ussama Bin Laden und seine Terrororganisation al-Qaida amerikanische Flugzeuge entführen könnte. Daraufhin seien die entsprechenden Sicherheitsbehörden – nicht aber die Öffentlichkeit – informiert worden. Entsprechende Berichte eines US-Fernsehsenders wurden Mittwochabend vom Weißen Haus bestätigt.

Bush erhielt die Warnungen im Sommerurlaub 2001 auf seinem texanischen Landsitz. Die Informationen hätten sich jedoch auf „herkömmliche“ Flugzeugentführungen bezogen. Es sei unabsehbar gewesen, dass Al-Qaida-Terroristen Flugzeuge entführen und als Raketen gegen Gebäude richten würden, wie es am 11. September geschah. Es habe nur allgemeine Warnungen über Bin Ladens Aktivitäten gegeben.

Im Zuge der Ermittlungen war zuvor bekannt geworden, dass es zur gleichen Zeit eine zweite, unabhängige Warnung durch einen Mitarbeiter der US-Bundespolizei FBI gegeben hatte. Ein FBI-Agent habe Ende Juli 2001 ein Memorandum verfasst und per E-Mail an die Zentrale in Washington geschickt. Dies berichtet die New York Times in ihrer Mittwochausgabe. Er habe gegen mehrere verdächtige Personen aus dem Nahen Osten ermittelt, die Flugschulen in den USA besucht hätten. In dem Geheimbericht habe der FBI-Agent zudem darauf hingewiesen, dass die Al-Qaida-Anhänger in US-Flugschulen ausgebildet werden könnten, um militante Muslime weltweit in Fluggesellschaften einzuschleusen.

Doch das ist nicht die einzige peinliche Enthüllung. Im August hatten andere FBI-Agenten versucht herauszubekommen, warum der Franzose Zacarias Moussaoui in einer Flugschule im Bundesstaat Minnesota Unterricht nehmen wollte. In einer Notiz wird darüber spekuliert, er „plane möglicherweise, ein Flugzeug in das World Trade Center zu fliegen“. Moussaoui ist die einzige Person, der gegenwärtig im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vor einem US-Bundesgericht der Prozess gemacht wird. Er gilt als der so genannte 20. Entführer.

FBI-Direktor Robert S. Mueller, der seinen Posten zwei Wochen vor den Anschlägen antrat, gab zu, dass dem Memorandum seinerzeit nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Das FBI habe nicht über ausreichende Analysekapazitäten verfügt, um seine Bedeutung zu erkennen. Als Konsequenz daraus sei eine neue FBI-Untersuchungseinheit, das „Office of Intelligence“, geschaffen worden.

Die Existenz des Memorandums war angeblich bereits seit Monaten bekannt. Die Kongressabgeordneten hätten aber erst kürzlich einen vollständigen Zugang zu dem Dokument erhalten. Dass in dem Agentenbericht direkt auf Bin Laden und sein Terrornetzwerk hingewiesen wurde, sei vorher von der US-Regierung nicht offenbart worden.

Der Kongress betrachtetet das Memorandum als bislang wichtigstes Dokument in der parlamentarischen Untersuchung, die sich mit der Frage beschäftige, ob die US-amerikanische Regierung hätte gewarnt sein müssen und ob sie auf die Warnungen angemessen reagiert hat. Die Frage ist nun, warum damals gleich zwei Warnungen unbeachtet bleiben konnten.

Das nun aufgetauchte FBI-Dokument bringt die Regierung in Verlegenheit. Nach dem 11. September herrschte in der Bevölkerung die Ansicht, dass die Regierung von den Anschlägen überrascht wurde und sie diese auch nicht hätte verhindern können. Nun sorgt sich das Weiße Haus, dass die Amerikaner ihre Meinung ändern könnten.