„Faktisch wird sich nichts ändern“

Bundestag will heute den Tierschutz im Grundgesetz verankern. Rechtsexperte Löwer sieht kaum Konsequenzen

taz: Herr Löwer, heute soll im Bundestag der Tierschutz als deutsches Staatsziel mit 2/3-Mehrheit beschlossen werden. Gehören damit Tierversuche der Vergangenheit an?

Wolfgang Löwer: Nein, sicher nicht. Schon heute sind Tierversuche ja auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Das ist im Tierschutzgesetz längst geregelt.

Aber wenn der Tierschutz jetzt im Grundgesetz verankert ist, könnte das Tierschutzgesetz doch so verschärft werden, wie es bisher nicht möglich war?

Nein, die Forschungsfreiheit besteht ja weiter und ist ein Grundrecht, während Tierschutz nur Staatsziel ist. Grundrechte von Menschen können nicht durch Rückgriff auf abstrakte Staatsziele eingeschränkt werden.

Ob ein Tierversuch unbedingt notwendig ist, entscheidet also weiterhin der Forscher?

Genau. Behörden können dies auch künftig im Wesentlichen nur auf Plausibilität prüfen.

Bisher wurde argumentiert, dass Forschungsfreiheit nur durch Gesetze eingeschränkt werden darf, die kollidierende Verfassungswerte schützen. Deshalb haben die Tierfreunde ja Druck gemacht, Tierschutz endlich im Grundgesetz zu verankern. Wie kann es sein, dass sich dies in der Praxis gar nicht bemerkbar machen wird?

Weil die Situation vorher gar nicht so schlecht war. Der Tierschutz wurde bisher faktisch als Verfassungswert anerkannt.

Wie bitte?

Wir haben jetzt schon ein Tierschutzgesetz, das Tierversuche stark reglementiert und damit in die Forschungsfreiheit eingreift. Das ist nur so erklärbar, dass bereits jetzt Tierschutz stillschweigend als Verfassungswert anerkannt war.

Dann wird sich nach der Verfassungsänderung auch beim Schächten, dem betäubungslosen Schlachtritual von Muslimen und Juden, nichts ändern?

Das Tierschutzgesetz hat das Schächten schon jetzt grundsätzlich verboten. Im Hinblick auf religiöse Vorschriften kann es aber ausnahmsweise erlaubt werden. Dabei bleibt es. Denn auch wenn der Tierschutz im Grundgesetz steht, kann er die Religionsfreiheit nicht aushebeln.

Was gilt für Massentierhaltung und Tiertransporte?

Hier steht dem Tierschutz die Berufsfreiheit der Bauern und Fleischfirmen entgegen. In diese Rechte kann der Gesetzgeber aber viel leichter eingreifen als in die Wissenschafts- oder Religionsfreiheit. Auf ein Staatsziel Tierschutz musste der Bundestag wirklich nicht warten.

Warum ist vor Renate Künast so wenig passiert?

Das hat wohl etwas mit der Komplexität der Abwägung und den berührten wirtschaftlichen Interessen zu tun.

Warum hat sich – wo sich doch nichts ändert – die CDU so lange gegen die Verankerung im Grundgesetz gewehrt?

Es bestand immmer die Befürchtung, dass Verwaltung und Gerichte zu viel Spielraum bekommen. Diese Sorge teile ich angesichts der jetzt gewählten sprachlichen Fassung des Staatszieles nicht, denn es enthält nur einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Aus meiner Sicht ist der Tierschutz im Grundgesetz vor allem ein politisches Symbol.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH