Schulanfang mit Hürden

Als Folge der Schulorganisation für die ersten Klassen wurden fünf Mütter beinahe um den Kita-Platz für ihre Kinder gebracht: Aus den Niederungen des real existierenden Familien-Vorstadt-Alltags

von KAIJA KUTTER

Seit vier Wochen schlafen Natalie Berghahn, Petra Nickels, die Autorin und zwei weitere Mütter aus Rahlstedt nicht besonders gut. Es geht um die Frage, was wichtiger ist: ein sicherer Schulweg für die Kinder oder die Fortsetzung ihres Berufs. Ein Schreiben der Schulbehörde vom 19. April teilte ihnen mit, dass ihre Kinder nicht in die Schule gehen dürfen, die in der Nähe ihrer Kita liegt. Weil die beiden 1. Klassen zu voll seien, sollen sie in eine einen Kilometer entfernte Schule. Das Problem: Der Weg führt über mehrere kleine und eine große Straße, die vierspurige B 75.

Dass das wohl geht, hatte der Schulleiter der ablehnenden Schule Altrahlstedt überlegt. Wie alle anderen Rektoren auch hatte er im Februar einen Behördenbrief erhalten, der ihn mahnte, keine Klasse zu bilden, die weniger als 24 oder mehr als 28 Schüler hat. Von 61 Anmeldungen, so beschloss er daraufhin, müssten fünf woanders hin.

Eine dritte 1. Klasse, so erzählte er den Müttern, könne er auch deshalb nicht einrichten, weil der Raum fehle. Die Schule sei voll, es würden andere Prioritäten gesetzt. So soll es drei 5. und vier 7. Klassen geben.

Der besagte Ablehnungsbrief kam just an dem Tag, an dem ein Elternabend in der Kita für die künftigen Schulkinder stattfand. Von 13 Eltern, so wird deutlich, haben fünf Pech. Die Alleinerziehende Natalie Berghahn ist richtig entnervt. Ihr Sohn Joshua ging bereits ein Jahr in die Vorschulklasse der Schule Altrahlstedt.

„Du kannst den Ranzen wieder wegbringen. Ich geh nicht zur Schule“, sagt die sechsjährige Nicole.

Auch die übrigen Kinder hatten sich darauf gefreut, mit ihren Freunden aus der Kita in die „Schule am Friedhof“, wie die Rahstedter sie nennen, zu kommen. „Du kannst den Ranzen wieder wegbringen. Ich geh nicht zur Schule“, sagte die sechsjährige Nicole zu ihrer Mutter Petra Nickels. Die allein erziehende Altenpflegerin hatte fest damit gerechnet, dass ihre Tochter an die Schule kommt, die auch ihr 11-jähriger Bruder besucht. Nickels: „Da hätte ich beim Schulweg morgens ein besseres Gefühl.“ Denn als Altenpflegerin hat sie sehr unregelmägige Arbeitszeiten: mal morgens ab sechs, mal abends bis 20 Uhr. Zwei weitere Kinder werden ebenfalls im „Frühdienst“ der Kita betreut, müssten auch morgens den weiten Weg gehen.

Die Mütter beschließen, gemeinsam zur Behörde zu gehen und bekommen bei der zuständigen Schulrätin prompt einen Termin. Das Gespräch verläuft allerdings nicht allzu erfreulich. Die Stadt habe kein Geld und die Schule Altrahlstedt keinen Platz, erklärt die Beamtin: „Wir werden dort keine Schule bauen, auch nicht für ihre Kinder.“ Das Einzige, was sie anbietet, ist ein dritter Standort. Der ist noch weiter weg.

Warum es hier nur berufstätige Mütter treffe, fragt eine der Besucherinnen. Darauf die Beamtin: „Wir dürfen nicht prüfen, ob die Mütter berufstätig sind.“

„Wenn ich meinen Job aufgeben muss, muss ich von der Sozialhilfe leben“, insistiert die Mutter. Darauf die Schulrätin: „Ja, ja. So was höre ich auch von anderen.“ Auch für die Frage, ob es an der anderen Schule einen Hortplatz für den Nachmittag gibt, fühlt sie sich nicht zuständig. Die Mütter haben bereits angefragt und kennen die frustige Antwort: Es gibt dort lange Wartelisten.

Alle Frauen legen schriftlichen Protest gegen die Ablehnung ein. Noch im Mai sollen sie ihren endgültigen Bescheid bekommen. Danach hilft nur noch der Gang vors Gericht. „Jeden Tag geh ich zum Postkasten und bibbere“, sagt Petra Nickels. Es könnte ja der entscheidende Brief eingetroffen sein. Die Autorin telefonierte schon am Donnerstag mit Oberschulrätin Dagmar Unzelmann, die für die Grundschulorganisation zuständig ist. Die bestätigt, was Behördensprecher Hendrik Lange schon vor Wochen verkündete. Dass sich im Vergleich zu früheren Jahren überhaupt nichts verändert habe. Unzelmann: „Es gab schon immer Grundschüler, die an andere Schulen umgeleitet wurden. Es gab bloß keine SPD-Opposition, die das aufgreift.“

In Hamburg werden Lehrerstunden pro Schüler zugewiesen. Kleine Klassen hätten also zu wenig Unterricht. Für Ausnahmefälle gebe es nur ein begrenztes Ausgleichskontingent von 523 Schulstunden. Unzelmann: „Das hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert.“ Es rüttelten sich aber die Schülerzahlen jedesmal noch „1000 mal hin und her“.

Für die fünf Frauen hat Unzelmann gute Nachrichten: Sie sollen doch den gewünschten Schulplatz bekommen. Und alle Eltern der nunmehr proppevollen Klassen einen Brief, dass es an der Nachbarschule noch Platz in kleineren Klassen gibt. Unzelmann: „Wer will, kann sich umentscheiden. Manchmal geht ja freiwillig alles besser.“

Die Mütter haben gewonnen und ein neues Problem. Die Alternative heißt nun: gefährlicher Schulweg oder schlechtere Chancen fürs Kind.