Durch die Jahrhunderte

So gewagt wie schlüssig inszeniert: Regisseur Peter Konwitschnys überzeugende Lesart von Richard Straussens „Der Rosenkavalier“ an der Hamburgischen Staatsoper

von REINALD HANKE

Der Rosenkavalier ist das Stück über das Prinzip Lebensbejahung, verkörpert am Beispiel des lebensfrohen Barons Ochs von Lerchenau. Die pralle und aufrichtige Lebensfreude dieses gerade noch in den so genannten besten Jahren befindlichen, langsam alternden Landadeligen lässt ihn Figur in seinem von Dekadenz und Heuchelei gezeichneten Umfeld unzeitgemäß wirken. Er ist von Anfang an ein Fremder in seiner Zeit – und eignet sich deshalb wie kaum eine andere Figur dazu, auf eine Reise durch die Jahrhunderte geschickt zu werden.

Das Produktionsteam der Hamburger Inszenierung – mit Ingo Metzmacher als Dirigenten, Peter Konwitschny als Regisseur und Gabriele und Jörg-Michael Koerbl als Ausstattungs- und Dramaturgiemannschaft –hat dies getan: Der Abend beginnt um 1740 (1. Akt), führt über die Stationen 1920 (2. Akt) und ausgehendes 20. Jahrhundert (3. Akt) in die nahe Zukunft (Schluss). Ein gewagtes, aber in sich schlüssiges und – wie sich erweisen sollte – funktionierendes Konzept. Es lässt viel Spielraum für die Doppelbödigkeit des Stückes, die musikalisch in Richard Straussens einzigartiger Mischung aus Walzerseligkeit und modernen Klangstrukturen kongenial umgesetzt ist.

Diese musikalische Doppelbödigkeit war, einziger Wermutstropfen eines großen Abends, allerdings nicht die Sache des Dirigenten, geschweige denn des Orchesters. Dieses präsentierte sich zwar – abgesehen von kleineren Bläserplumpheiten am Anfang und einigen Streicherunsauberkeiten am Schluss – in vorzüglicher Verfassung, man merkte ihm aber immer an, dass ihm die für das Stück womöglich notwendige doppelbödige Wiener Spielart fremd geblieben ist.

„Komödie für Musik“, so nannten Strauss und Hugo von Hofmannsthal ihre Geschichte um den verarmten Baron, der endlich reich heiraten will, jedoch einem vermeintlichen Dienstmädchen nachsteigt, das tatsächlich nicht nur sein Vetter ist, sondern zugleich auch der Geliebte derjenigen Dame, die möglicherweise die Liebe seines, des Ochsen, Lebens wäre. Und die ihn mittels einer infamen Intrige öffentlich lächerlich macht.

In Hamburg hätte das Stück auch als „Komödie inmitten von Musik“ bezeichnet werden können, denn Regisseur Konwitschny platzierte das Orchester im ersten Akt in so genannten historischen Kostümen auf der Bühne und im sichtbaren, hochgefahrenen Orchestergraben. Und inmitten der Musiker sieht das Publikum ein überdimensionales rundes Bett als Spielwiese der diversen geglückten und nicht geglückten Amouren. Durch das Sichtbarmachen der Musiker gelingt es Konwitschny, die Aufmerksamkeit des Publikums darauf zu lenken, dass im Rosenkavalier die Komödie nicht nur auf das szenische Spiel beschränkt bleibt, sondern auch in höchstem Maße die Musik prägt – also hörbar ist. Wie in Richard Wagners Musiktheater das Theater ebenso auf der Bühne wie in der leitmotivgeprägten Musik stattfindet, so verhält es sich hier, ins Wienerische und Komödiantische gewendet.

Und deshalb erweckte diese Interpretation den Eindruck, als verstehe Regisseur Konwitschny den Rosenkavalier bewusst oder unbewusst als Satyrspiel zu Wagners Ring. Seine hochintelligente und musikalische Lesart des Stückes wirkte überzeugend, zu verdanken ist dies aber nicht nur den künstlerisch Verantwortlichen dieses Abends, sondern auch einer Sängerbesetzung, die ihresgleichen sucht. Mit Kurt Molls balsamischem Bass stand der Inszenierung der wohl beste Ochs unserer Zeit zur Verfügung, der in dieser Rolle immerhin bereits vor 25 Jahren brillierte. Das Unzeitgemäße seiner Rolle brauchte Moll gar nicht erst zu spielen, er verkörpert es in seiner Person, und seine Gestaltungskraft scheut keinen Vergleich. Wenn der Ochs in ruhigem, fast schwärmerischem Ton am Ende des zweiten Aktes seine Verliebtheit besingt, nicht ahnend, dass ihm bald übel mitgespielt werden soll, dann berührt das dermaßen, dass einem jedes Bravo im Halse stecken bleibt. Erfreulicherweise waren die drei großen Frauenpartien mit Brigitte Hahn (Feldmarschallin), Christiane Oelze (Sophie) und einer überragenden Liliana Nikiteanu (Oktavian) ebenfalls spektakulär gut besetzt. Das muss man erlebt haben.

weitere Vorstellungen: Sonntag., 23. und 28.5., 2. und 9.6., jeweils 18 Uhr, Hamburgische Staatsoper