Pisa ist nur ein Standbild

Ehemalige Pisa-Boykott-Initiative „Protest gegen Test“ leistet sich eine kritische Diskussion über die Erhebung und wird dafür von der Schulbehörde gerügt. Weiter Bedenken gegen die „Verbetriebswirtschaftlichung“ von Schulen

von KAIJA KUTTER

Wie viel kritische Diskussion über Pisa darf Hamburg sich noch leisten, nachdem die Stadt aus der nationalen Testwertung ausgeschlossen wurde? Am besten gar keine, scheint die Schulbehörde zu denken. So wurde ein Mitglied der Elternini „Protest gegen Test“, die vor zwei Jahren zum Pisa-Boykott aufgerufen hatte, von der Behördenspitze dafür gerügt, zu der Veranstaltung „Die andere Seite von Pisa“ im Kaifu-Gymnasium aufgerufen zu haben. „Der Abend war mit Hindernissen verbunden“, berichtet Lehrerin Susanne Gondermann. Selbst die GEW habe sich verweigert.

„Wir wollten klären, ob wir mit unseren Bedenken gegen Pisa richtig lagen“, sagt Elternvertreterin Karen Medrow-Struss. Einen neuen Boykott-Aufruf gegen die Nacherhebung solle es aber nicht geben. Bedenken gegen einen Test, der die eigenen Kinder in nationale und internationale Rankings einsortiert, können sie mit gutem Recht noch immer haben, das haben die Experten Jürgen Klausnitzer und Bernd Wollring den Eltern versichert. „Pisa wurde gemacht, um Druck für die Verbetriebswirtschaftlichung von Schule zu mobilisieren“, sagt Bildungsgutachter Klausnitzer. Die Ergebnisse – beispielsweise die negative Wirkung von Selektion – seien der Schulforschung schon lange bekannt. Pisa werde aber von der OECD nun benutzt, um dauerhafte Rankings und einen Wettbewerb im Bildungssystem zu erreichen.

„Tests haben immer Rückwirkung auf das Getestete“, sagt Mathe-Didaktiker Wollring von der Kasseler Uni, der vor den pädagogischen Folgen warnt. So könne Pisa die Testkultur an Schulen „degenerieren“. Lehrer, die fachlich nicht selbstbewusst seien, würden nur noch darauf achten, wie sie die Kinder für diesen Test fitt machen. Dabei bilde der Test nur einen kleinen Ausschnitt ab und prüfe nur schriftliche Individualleistung, ergebnisorientiert über eine begrenzte Zeit. Wollring: „Das ist, als wenn sie mit einem Standbild einen ganzen Spielfilm darstellen wollen.“

Der Didaktik-Forscher versichert, dass „Tests nicht generell böse“ seien. Es komme nur darauf an, dass sie eine diagnostisches Hilfe sind. Wollring: „Wir müssen nicht gucken, was kann das Kind nicht. Sondern, was ist da und ausbaufähig.“ Plastisch erklärte er dies am Fall des Drittklässlers Marcel, der für eine Mathearbeit eine 6 bekam, weil die Ergebnisse aller Multiplikationsaufgaben falsch waren. Anhand der Notizen auf einem Löschblatt wurde klar, dass der Junge alle Nebenrechnungen richtig machte, nur in der Methode falsch lag. Unter simplen Testbedingen, die wie Pisa nur Ergebnisse abfragen, werden aus Marcels schnell viele kleine Schulversager.