Der mit den Vögeln spricht

■ Seit er einer Nebelkrähe das Leben gerettet hat, unterhält sich Reinhart Brandau oft mit wilden Vögeln. Am Weyerberg in Worpswede unterhält er eine private Vogelklinik

Da steht die Amsel, auf ihrem einen, mit Schuppen überwucherten Bein auf der Fensterbank und beobachtet, wie die Artgenossen draußen durch den Apfelbaum tollen. „Juri hofft, dass von denen keiner sein Reich entert“, schmunzelt Reinhart Brandau über seinen einbeinigen Hausgenossen. „Der Juri ist schwer zu verstehen aber gut zu tolerieren“, sagt er. Seit vier Jahren wohnen die beiden schon dicht an dicht. Da kennt man sich.

Dann schließt er zur Sicherheit die Wohnzimmertür, um sich seinem neuen Notfall zu widmen. Ein Bremer Tierarzt gab die Amsel mit Kopfverletzung im Mackensen Haus in Worpswede ab. Hoffnungslos sei der Fall eigentlich gewesen. Doch nach einigen Tagen unter Rotlicht ist der Vogel aus dem Koma erwacht und kommt wieder zu Kräften. Alle halbe Stunde serviert Brandau ihm Häppchen.

Die Amsel wehrt sich zwar mit beiden Beinchen gegen die Mehlwürmer und eingeweichte Rosinen. Aber Brandau bugsiert mit der Pinzette alles geschickt in den Schnabel. Plötzliches Schnabelklappern übersetzt er mit: „Hau ab, sonst beiß– ich dich.“

Dass die Amsel ausgerechnet ihren Retter als Feind zu betrachten scheint, kränkt Brandauer ein bisschen. „Vielleicht ist sie geisteskrank.“ Denn im Vogelreich gilt der 64-jährige Worpsweder als Artgenosse: „Die erwarten, dass ich sie verstehe. Merkwürdigerweise halten die mich für einen Vogel“, lacht er. Für die Sprache der Vögel müsse man sich nur öffnen.

Seine Liebe zu den fliegenden Geschöpfen hat vor fünfzehn Jahren begonnen. Er hatte eine Nebelkrähe nach ihrem Sturz aus dem Nest aufgezogen – und die war ihm vier Jahre lang treu geblieben. Besuchte den Ziehvater regelmäßig. „Ich begann zu lernen, dass Vögel ein Bewusstsein haben.“ Seit das Fernsehen den freischaffenden Künstler mit dem guten Draht zur Vogelwelt bekannt gemacht hat, karren Menschen aus ganz Norddeutschland verunglückte Wildvögel in seine kleine Vogelreha am Fuße des Weyerberges.

500 Patienten umsorgte Brandau in den vergangenen zehn Jahren, darunter einen Schwan mit vereistem Schnabel, einen Kiebitz mit Schrotkörnern in Gefieder und einen flügellahmen Graureiher. Dabei habe er bemerkt, dass er jede Regung dieser Tiere deuten könne. „Die Sprache der Vögel ist universell.“ Wenn Brandau den wilden Garten vor seiner Haustür betritt, lauscht er den Stimmen aus den Baumkronen. „Ich mag dich, du bist doof, hau ab oder komm her“, hört er dann. Ein Meisenmann habe sich sogar jedes Mal ausdrücklich für die verfütterten Mehlwürmer bedankt. „Das macht nicht jeder. Vögel sind sehr individuell. Da gibt es gewaltige Charakterunterschiede“, betont der Vogelkenner.

Brandau spricht mit jedem Vogel, egal ob er im Garten steht, oder vor dem Supermarkt. Besondere Beziehungen aber pflegt er mit seinen Vogelpatienten. Mit der Elsterdame Ellie führt er, wie er grinsend bemerkt, ein eheähnliches Verhältnis. In der Volière, die Brandau eigenhändig gebaut hat, arbeitet Ellie zur Zeit am gemeinsamen Nest: „Sie findet Männer toll.“ Und wie: Beinahe kokett tänzelt sie zur Begrüßung über einen freischwebenden Ast. „Yap.Yap“ ruft Ellie, bis Brandau sie endlich am Bauch krault. Die Elster streckt sich zufrieden und als sie „Yiirp. Yiirp“ singt, bricht Brandau ins Lachen aus – „das war jetzt die Aufforderung zur Befruchtung.“

Im angrenzenden Volièrenraum wackelt eine flügellahme Ringeltaube umher und im Vordertrakt hockt eine daumengroße graue Amsel im aufgeschütteten Laub. Seit zwei Wochen ist die junge Amsel hier und nun soweit, das Leben in freier Wildbahn einzuüben. Brandau setzt sich auf einen Holzhocker, der vor einem Schreibtisch aus Holzplatten steht. Mit einem Satz springt das kleine Federbündel auf die schwarz weiß bekackten Platten und reißt den Schnabel auf. Aber der Survivaltrainer legt ihr die lebendigen Maden und Käfer nur vor die Krallen. „Sie muss sich alleine ernähren, bevor ich sie auswildern kann.“

Brandau sitzt gerne zwischen seinen ständig singenden Vogelgästen und schreibt. Seit vier Jahren arbeitet er an einem Jugendbuch. Er möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, was die Vogelstimmen erzählen, zwischen dem Lärm der Menschen. „Ich will den Abgrund zwischen Mensch und Natur überbrücken“, sagt er. Aber ihm bleibt kaum eine freie Minute zwischen dem halbstündigen Rhythmus der Fütterungen. Während er aus einer orangefarbenen Schüssel die gehäuteten und somit leichter verdaulichen Mehlwürmer herauspickt, bemerkt er nüchtern : „Aber ich mache nichts Wundersames. Es muss ja getan werden. Die brauchen Futter und Pflege, damit sie überleben.“ Daniel Toedt