Spagat zwischen Beruf und häuslicher Pflege

■ Um Angehörige kümmern sich meist Frauen ab 40 - aus finanziellen und moralischen Gründen

Anke Böhms Mutter hat Alzheimer, ihr Vater ist gehbehindert. Weil die beiden sich immer weniger selbst versorgen können, wird sich die Tochter (46) demnächst um sie kümmern. Auch wenn sie sich ihre Lebensmitte anders vorgestellt hat. Und nicht weiß, ob sich die Pflege ihrer Eltern mit ihrer Halbtagsstelle als Buchhändlerin vereinbaren lässt.

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird sich in den nächsten 20 Jahren schätzungsweise verdoppeln, von derzeit knapp zwei auf knapp vier Millionen. Wer wird sie pflegen? Wie es aussieht, bleibt die Pflege an den Frauen hängen. Ein Großteil der Pflegebedürftigen wird von Angehörigen zu Hause versorgt. In vier von fünf Fällen übernehmen Ehefrauen, Töchter oder Schwiegertöchter die Pflege alter Menschen. Oft müssen sie dafür ihren Beruf aufgeben, haben die Soziologen Sonja Drobnic (Universität Bremen) und Hans-Peter Blossfeld (Uni Bielefeld) festgestellt. Sie werteten Lebensläufe von verheirateten Frauen aus den vergangenen 20 Jahren aus und kamen zu dem Ergebnis, dass vor allem berufstätige Frauen über 40 durch die Vergreisung der Gesellschaft belastet und benachteiligt werden.

Die Studie „Pflegebedürftige Personen im Haushalt und das Erwerbsverhalten verheirateter Frauen“ basiert auf repräsentativen Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) und ist in der „Zeitschrift für Soziologie“ erschienen.

Sobald ein alter Mensch im Haushalt lebt, der sich nicht mehr allein versorgen kann oder deshalb in die Familie aufgenommen wird, sind Frauen sehr viel häufiger dazu bereit, ihren Job an den Nagel zu hängen und komplett aus dem Berufsleben auszusteigen. Warum übernehmen Frauen die Pflege im Haushalt scheinbar so bereitwillig? Und was hält die meisten davon ab, weiterhin Teilzeit zu arbeiten, so wie es Mütter mit Kindern mittlerweile tun?

Ein Grund für die Pflege innerhalb der Familie ist die Idee des sozialen Tausches. Kinder helfen ihren Eltern oder ein Ehepartner dem anderen, weil derjenige, der Pflege benötigt, sie früher selbst unterstützt hat. Die Angehörigen fühlen sich daher moralisch verpflichtet, die Betreuung zu übernehmen.

Ein anderer Grund sind finanzielle Überlegungen. Angehörige zu Hause zu pflegen, ist trotz Pflegeversicherung sehr viel günstiger als die Heimbetreuung. Etwa 1.250 Euro zahlt die Pflegeversicherung monatlich für einen Heimplatz, doch der kostet meist weit mehr als das Doppelte. Bei höheren Ansprüchen wird es noch teurer. Nur selten reicht deshalb die Rente, um einen Heimplatz zu bezahlen.

Die Differenz müssen nach dem Bundessozialhilfegesetz die Angehörigen übernehmen. Deshalb geben vor allem die Frauen ihren Beruf auf, deren Einkommen geringer ist als das ihres Mannes. Das trifft laut Blossfeld und Drobnic besonders diejenigen, die nach einer Berufsausbildung Kinder bekommen haben und nach einer Erziehungspause mit einer Teilzeitstelle in den Beruf zurückgekehrt sind.

Frauen, die trotz der finanziellen Belastung etwa einer Tagespflege weiterhin Teilzeit arbeiten, stellen fest, dass sich dies mit der Pflege alter Menschen sehr viel schlechter vereinbaren lässt als mit Kinderbetreuung. Denn Kinder können zwischendurch von Freunden, Verwandten oder Nachbarn mitbetreut werden. Die Versorgung alter Menschen konzentriert sich dagegen stark auf eine Hauptpflegeperson.

Vor allem die Dauerbelastung mache pflegenden Angehörigen zu schaffen, sagen Blossfeld und Drobnic. Kinder sind oft mobiler, können leichter zum Einkaufen oder auf einen Besuch mitgenommen werden. Während sie mit zunehmendem Alter selbstständiger werden, sind alte Menschen von Jahr zu Jahr abhängiger von ihren PflegerInnen, was die Planung für die Arbeitsaufnahme erschwert.

Ob Töchter und Schwiegertöchter auch in Zukunft bereit sein werden, ihre Arbeit zugunsten der Pflege Angehöriger aufzugeben, darüber wagen Blossfeld und Drobnic keine Prognose. Das Gefühl, eine freie Entscheidung treffen zu können, werden berufstätige Frauen jedoch erst haben, wenn entweder die Kosten für die häusliche Betreuung Pflegebedürftiger kräftig sinken oder die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich steigen. epd