Verloren im Groove

Zwischen Soul und Blues, zwischen Panik und Agonie: Gallon Drunk sind zurück und spielen im Knaack-Club

„Out of sight and out of reach“, singt James Johnston, „out of time and now released“. Es ist ein Liebeslied, vielleicht auch ein religiöses. Diese Zeilen lassen sich aber auch lesen als Beschreibung des Zustands der Musikproduktionseinheit, der Johnston seit über einem Jahrzehnt vorsteht und die den Namen Gallon Drunk trägt. Denn um das Quartett aus London war es in den letzten Jahren ruhig geworden. Es schien, als hätte es sich nach frustrierenden Jahren im Niemandsland zwischen Kultstatus und kommerziellem Erfolg, zwischen Bühnenruhm und existenzsicherenden Aushilfsjobs einfach still und leise aufgelöst.

Aber das unbemerkte Ende war nur eine Pause. Fünf Jahre lang hatte Johnston Gallon Drunk auf Eis gelegt, mehrere Soundtracks für Filme und Imax-Produktionen komponiert, für Fernsehen und Theater gearbeitet und hin und wieder für Kollegen den Studio- und Tourmusiker gegeben. Schließlich reaktivierte Johnston einen Teil der alten Mitstreiter und suchte ein paar neue dazu. Nun sind Gallon Drunk zurück mit einem Album namens „Fire Music“ und vor allem mit dem darauf dokumentierten Glauben von Johnston an die Liebe, die nahezu an religiösen Wahn grenzt.

Nicht nur „Things Will Change“ ist ein astreiner Gospel, den ekstatischen Frauenchor inklusive: Fast jeder Song beschäftigt sich manisch mit den zerstörerischen und heilenden Kräften der Liebe. Auch musikalisch ist „Fire Music“ ein zutiefst altmodisches Album, das vom Klavier lebt, das Johnston neuerdings bevorzugt bearbeitet, und dem Glauben, dass man mit handgemachten Rhythmen noch jemanden zum Tanzen bekommt.

Sehr oft lässt Johnston Gitarre und Bläser einfach immer weiter um das Riff kreisen, bis die Band so unweigerlich wie unmerklich immer schneller zu werden scheint und sich schließlich selbst im Groove verliert. Die alten Gallon Drunk waren da vergleichsweise ruppiger. Damals ließ Johnston keine Gelegenheit aus, seine Stimmbänder in alle verfügbaren Richtungen zu dehnen, ächzte, stöhnte und greinte, als würde er mit seiner Seele den Rinnstein auswischen wollen.

Dazu spielten Gallon Drunk disparate, torkelnde Americana mit der Schwermut des Blues oder einen Soul, der so panisch vorwärts getrieben wurde, als wäre er auf der Flucht vor der Apokalypse. Andererseits aber wohnte schon damals ihrer Musik eine majestätische Gelassenheit inne, die von nichts erschütterbar schien, nicht einmal von abgeschmackten, verrauchten Saxofon-Einlagen, wie man sie auch auf dem neuen Album wieder findet. Dieses Majestätische hat Johnston nun ausgebaut zur fast schon pomadigen Selbstzufriedenheit des weise gewordenen Soul-Crooners, dessen perfekt geöltes Organ vor allem von sich selbst überzeugt klingt. Irgendwo zwischen Liebeslied und Gotteslob, zwischen Soul und Blues, zwischen Panik und Agonie hat James Johnston seine innere Ruhe gefunden. Das macht aus ihm einen glücklichen Mann und aus Gallon Drunk eine solide abgehangene Soulband.

THOMAS WINKLER

Sa., 22 Uhr, Knaack-Club, Greifswalder Str. 221, Prenzlauer Berg