Stolz auf die Waage

Als der Krieg zu Ende war und die Moderne zum Garant des Wechsels wurde: Das Verborgene Museum zeigt Arbeiten der Fotografin Maria Austria aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren

Als der Krieg zu Ende war, kehrte das Leben auf die Straße zurück und mit ihm die Lust, zu sehen und gesehen zu werden. Sich überall ins dichteste Gewühl zu schieben, das scheint die große Leidenschaft der Fotografin Maria Austria gewesen zu sein. Kaum war der Zirkus in der Stadt, schon folgte sie der Spur des Elefanten. Ihr Bild zeigt seinen dicken Hintern und die Gruppe der Fotografen, die auf der Suche nach dem Schnappschuss hinter ihm in Stellung gegangen sind. Das war in Amsterdam 1950.

Die ersten Bilder der Ausstellung allerdings, die das Verborgene Museum der Fotografin widmet, zeigen eine andere Vorgeschichte: Da ist die Wohnung zu sehen, in der Anne Frank hinter einem Bücherregal versteckt lebte. Ein Foto dokumentiert eine Exhumierung in den Dünen: Ausgegraben werden die Leichen von Männern, die von den Nazis standrechtlich erschossen wurden. Geschichte, das wusste Maria Austria, wird nur zu gerne versteckt.

Sie wurde als Maria Oestreicher 1915 in Karlsbad geboren und hatte in Wien fotografieren gelernt. Mit ihrer Schwester Lisbeth betrieb sie ein Atelier für Strickmodelle und Porträtfotografie ab 1937 in Amsterdam; da hatte sie in Wien schon die Verfolgung als Jüdin erfahren. Nach der Besetzung der Niederlande lebte sie im Untergrund und half mit Passbildern bei der Herstellung falscher Papiere. Im Mai 1945 gründete sie mit anderen Fotografen das Büro „Particam“, das ausdrücklich das Leben in den befreiten Niederlanden dokumentieren wollte.

Ihre Bilder aus der Nachkriegszeit feiern die Rückkehr in die Öffentlichkeit. Kleine Kinder promenieren untergehakt eine enge Straße hinab; stattliche Hausfrauen steigen auf der Haushaltswarenmesse voll Stolz auf eine Waage der Marke „Vibrator“; Männer spiegeln sich rauchend und staunend in blank geputzten Motorhauben. Und immer wieder Kinder: im Bus, im Theatersaal, in der Ballettschule, im Park; sie bekam nicht genug vom Blick auf dieses quirlige Leben. Der Wiederaufbau wird beobachtet, die moderne Architektur als neuer Gemeinschaftsraum angenommen.

Mit den Neorealisten des Kinos in Italien und Frankreich verband Maria Austria die Erfahrung von Krieg und Widerstand und die Begeisterung für das Leben auf der Straße; sie teilte aber nicht deren bitteren Ton. Durch die heute populär gewordenen Romane von Harry Mulisch, Leon de Winter und Maarten’t Hart, die ihre Geschichten in die Zeit der deutschen Besetzung und der Kollaboration legen, ist das Vergangenheitstrauma der Holländer in den letzten Jahren zum Thema geworden. Auch aus den Bildern von Maria Austria ist die Vergangenheit schnell verschwunden. Sie erinnern oft an die Euphorie der Wirtschaftswunderjahre in Deutschland. Alles war Gegenwart, die Moderne wurde zum Garant des Wechsels. In ihren Arbeiten aber ist dies aus der Perspektive einer Frau gesehen, die genau wusste, was vorher geschehen war.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, Do/Fr 15–19, Sa/So 12–16 h, bis 23. 6.