Der unerwünschte Kandidat

Dieter Glietsch wird gegen den Willen der Opposition neuer Polizeipräsident von Berlin

Parteibuchwirtschaft soll es gewesen sein, die den 55-Jährigen Inspekteur der Polizei von Köln an die Spree holte. Sagt die Berliner Opposition. Denn anders als sein Gegenkandidat Gerd Neubeck, der kein Parteibuch besitzt und vielen als ausgemachter Nachfolger des bisherigen Amtsinhabers Hagen Saberschinsky galt, ist Dieter Glietsch Mitglied der SPD. Tatsächlich hatte Neubeck, amtierender Polizeivizepräsident, in dem Berliner Bewerbungsverfahren zunächst am besten abgeschnitten. Dann verlängerte der Hauptstadt-Innensenator Ehrhart Körting (SPD) jedoch die Suche. Als neuen Kandidaten zauberte der rot-rote Senat dann Dieter Glietsch aus dem Hut.

Glietsch, bislang Inspekteur der nordrhein-westfälischen Polizei, wurde am Donnerstagabend mit einfacher Mehrheit gewählt und gestern vereidigt. Zuvor hatten die Berliner Union und die Grünen in seltener Einmütigkeit erneut versucht, die Wahl zu verhindern.

Nun wird der Neue seinen Job, die Hauptstadt sicher zu machen, ausgerechnet mit dem umstrittenen Besuch des US-Präsidenten George Bush beginnen, zu dem zehntausende Demonstranten erwartet werden. Seine erste Amtshandlung war gestern folglich die Besprechung zur „Lage“.

Glietsch, der sich erst für den Posten an der Spree interessierte, als er um eine Bewerbung gebeten wurde, gibt sich erstaunt über die Parteibuchdiskussion. „In 38 Dienstjahren bin ich nie danach gefragt worden“, sagte der frisch Inthronisierte. Er habe keine Zweifel, dass er allein aufgrund seiner Erfahrung ausgewählt worden sei. Die Kölner lassen den in der Polizeiszene durchaus Bekannten ungern ziehen. In die Annalen seiner Behörde ging er durch einen Coup beim Castor-Transport 1998 ein. Glietsch hatte die Castoren früher und unangekündigt durchs Land rollen lassen. Und damit die seit Wochen wartenden Journalisten und tausende Demonstranten verblüfft. Diese Aktion hatte seinen Ruf als „analytischer Schachspieler“ verstärkt. Sie zeigt aber auch, dass er ein Ordnungshüter ist, der vor unorthodoxen Strategien nicht zurückschreckt. Glietsch wird von berufener Seite auch Reformfähigkeit nachgesagt. Wenn es um Reformen und deren Umsetzung gehe, heißt es aus Köln, sei er eine Lokomotive.

Knochenhart, konsequent, geradlinig und bis in die Haarspitzen loyal zu sein sind weitere Eigenschaften, die dem Vater von drei Kindern attestiert werden. Sein beruflicher Werdegang begann 1964 als einfacher Wachtmeister im mittleren Dienst. Das Gymnasium hatte Glietsch kurz vor dem Abitur verlassen. In seiner Behörde arbeitete er sich mit Bestnoten hoch zum höchsten Beamten Nordrhein-Westfalens.

Mit Glietsch könne man „um der Sache willen“ gut streiten, sagt Ulrich Kolander, Vorsitzender des Hauptpersonalrates der Polizei NRW und häufiger Verhandlungspartner von Glietsch. Einfach sei das nicht gewesen, denn Glietsch sei ein Stratege. Oft genug habe er die Argumente des Gegners vorausgeahnt und ihm so den Wind aus den Segeln genommen. Das sei schwierig gewesen, „aber auch beeindruckend“.

Glietsch gilt allgemein als hoch qualifiziert. Als Chef soll er an seine Mitarbeiter die gleichen hohen Anforderungen stellen wie an sich selbst. In Berlin stößt die Wahl des NRW-Kandidaten aber vorerst auf Genörgel. AW