ÜBERFÄLLIGE EHRENERKLÄRUNG FÜR DESERTEURE UND HOMOSEXUELLE
: Ende eines 57-jährigen Unrechts

Endlich. Deserteure der Wehrmacht und Homosexuelle, die Opfer von NS-Unrechtsurteilen geworden sind, wurden gestern vom Deutschen Bundestag rehabilitiert – 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Fast ein Menschenleben hat es also gedauert, bis das Parlament sich zu dieser weit überfälligen Ehrenerklärung durchringen konnte, und deshalb gibt es heute auch nur noch wenige Überlebende, die sich über die späte Gerechtigkeit freuen können. Aber die Ergänzung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile hat nicht nur für die unmittelbar Betroffenen große Bedeutung, sondern ebenso für die Nachgeborenen. Was sich daran zeigt, dass es bis zuletzt erheblichen Widerstand dagegen gab.

Gilt staatliches Handeln prinzipiell auch dann als rechtmäßig, wenn der Terror regiert? Um die Antwort auf diese grundsätzliche Frage geht es bei beiden Opfergruppen, so groß die Unterschiede der Schicksale und der damit verbundenen juristischen Probleme von Deserteuren und Homosexuellen auch sind. Die bis gestern vorgeschriebene Einzelfallprüfung legte die Beweislast vor den Türen der Opfer ab: eine unerträgliche Beleidigung von Männern, die desertierten, weil sie sich nicht an einem Angriffskrieg beteiligen wollten, und eine ebenso unerträgliche Missachtung der Menschenrechtsverletzungen, die Homosexuelle in Haft und in Konzentrationslagern erlitten haben.

Ja, Desertion gilt auch in demokratischen Staaten als Straftat. Ja, Homosexualität wurde in Deutschland auch noch nach dem Ende des Nationalsozialismus juristisch verfolgt. Aber das Ausmaß und die Brutalität der Verfolgung dieser Opfer war so groß, dass sich allein deshalb jeder Streit über rechtliche Spitzfindigkeiten verbietet. Und schon längst hätte verbieten müssen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die USA haben im Zweiten Weltkrieg 763 Todesurteile gefällt. Deutsche Wehrmachtsgerichte fällten zwischen 30 000 und 50 000 solcher Urteile.

Was früher willkürliches Recht war, kann heute durchaus Unrecht sein: Das ist das Signal, das vom gestrigen Beschluss des Bundestages ausgeht. Dieser Beschluss weist nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft. BETTINA GAUS