Das Duell der Antipolitiker

Was tun gegen Rechtspopulisten? (3) Nicht die etablierten politischen Formationen, sondern nur unkonventionelle Individualisten können zum Gegenpol werden

Die Aktionen gegen die rechten Populisten sind Ausdruck einer Sehnsucht nach AuthentizitätEs gilt, jenes „Setting“ aufzubrechen, das nur fade Partitokratie und populistische Revolte kenntDie Akteure gegen rechts dürfen weder zu Politikern noch zu quasi berufsmäßigen Aktivisten werden

Erst der Haider-Schüssel-Schock, dann der Erfolg der Berlusconi-Fini-Bossi-Allianz in Italien, der Rechtsruck in Dänemark, Le Pens Überraschungscoup im ersten französischen Präsidentschaftswahldurchgang und zuletzt der kometenhafte Aufstieg des Pim Fortuyn, wenn auch jäh gestoppt durch die Schüsse eines durchgeknallten Pelztierschützers – das Resümee ist klar und simpel: „Die Rechtspopulisten sind auf dem Vormarsch in Europa“ – wie Jochen Hille am 11. Mai an dieser Stelle schrieb.

Die Debatte wird kontrovers, wenn genauer nachgefragt wird: Handelt es sich in erster Linie um ein mehr politisches oder um ein eher politisch-kulturelles Phänomen? Welchen Stellenwert haben die klassisch rechten politischen Programmatiken, also die Anti-Immigrations-, Anti-EU-, Anti-Kriminalitäts-Slogans der rechten Frontleute? Und wie viel Bedeutung ist dem Typus dieser Kämpfer gegen das Polit-Establisment beizumessen? Und wie passt all das mit dem zweiten Phänomen zusammen, das nahezu überall wahrzunehmen ist, wo rechte Populisten Erfolge haben: dass die klassischen Parteien der Linken und der bürgerlichen Mitte nicht recht wissen, wie sie reagieren sollen, und neue Bewegungen dieses Vakuum füllen?

Österreich erlebte unmittelbar nach dem Amtsantritt der Regierung aus Volkspartei und Freiheitlichen eine Welle des Engagements, vom „Erwachen der Spaßgeneration“ war ebenso die Rede wie vom „Aufstand der Zivilgesellschaft“. Italien fiel in lange Monate der Oppositionslosigkeit, bis eine bunte Allianz aus Künstlern, braven Professoren und honorigen Staatsanwälten in die Bresche sprang – das Stichwort gab ausgerechnet der Generalstaatsanwalt Mailand, der nicht ohne Pathos zur Verteidigung des Rechtsstaates aufrief: „Resistere, resistere, resistere.“ Und in Frankreich strömten, kaum waren die Wahllokale geschlossen, entzückende Schülerinnen und Schüler auf die Straßen und malten sich den Schriftzug „J’ai honte“ – „Ich schäme mich“ – ins Gesicht.

Wir sollten davon ausgehen, dass diese beiden neuen politischen Energien, die von rechts und die von links, Symptom der Krise sind, in die die klassische Politik geraten ist, jene, die von der konsensorientierten und fachgerechten Verwaltung des Gemeinwesens geprägt ist. Sowohl der Aufstieg der Populistenführer wie auch die Reaktion Hunderttausender (wie in Österreich) oder von Millionen (wie in Italien und Frankreich) sind Ausdruck einer Sehnsucht nach politischer Authentizität, der Versuch, die Lücke zwischen alltäglicher Existenz und politischem Handeln zu schließen.

Die rechtspopulistischen Formationen sind, wie jeder weiß, nur dann erfolgreich, wenn an ihrer Spitze Leute stehen – meist sind es Männer, in Dänemark ist es mit Pia Kjaersgaard eine Frau –, die „Typen“ sind, „Figuren“, die das Zeug dazu haben, in eine „Star“-Position zu gelangen; Leute, die allesamt Exzentriker sind, denen man eine narzisstische „Störung“ diagnostizieren kann – wobei der Narzissmus wohl weniger eine klinische Kategorie als ein gesellschaftlich produziertes Syndrom ist.

Jedenfalls sind bei jedem von ihnen diese Eigenschaften genügend ausgeprägt, um ihre politischen Parteien hinter sich verschwinden zu lassen – bei allen Unterschieden, die die Akteure kennzeichnen. Wobei diese Differenzen darauf hindeuten, dass jede Gesellschaft den Populistenführer bekommt, den sie verdient: Österreich den Yuppie-Nationalisten, aus dem die unaufgearbeitete Nazivergangenheit des Landes regelmäßig herausbricht; Italien den Premier, der, halb Clown, halb Dämon, wie ein Mafioso wirkt; Frankreich den Polterer mit einer eigentümlichen Eleganz, der an einen reich gewordenen Fischer aus einem französischen 50er-Jahre-Film erinnert; Holland den radikalliberalen Hysteriker.

Es ist wohl kein Zufall, dass zum Gegenpol dieser begnadeten „Ich“-Darsteller nicht die Spitzenpolitiker der etablierten Formationen taugen, sondern außerparlamentarische Akteure, die Bewegungen vieler „Ichs“. In Italien kam die Oppositionsbewegung erst recht in Gang, als der Regisseur Nanni Moretti den beiden Anführern der parlamentarischen Opposition, Franceso Rutelli und Massimo d’Alema, auf einer Demonstration entgegenschleuderte: „Mit solchen Führern werden wir nie gewinnen.“ Das Wort des Filmemachers wirkte, als hätte er eine Schleuse geöffnet. Was folgte, war ein neuer Politikmodus: Seither ist viel in Italien von der „Do it yourself“-Politik die Rede, der Übernahme der Aufgaben der Opposition durch normale Bürger. Die Antwort auf die populistische „Antipolitik“, analysiert der Philosoph Paolo Flores D’Arcais, ist eine „Antipolitik“ von unten und von links: „Antipolitik“, verstanden als „Antipartitokratie“, ist heute „der strategische Schlüssel des Falls Italien; nur wer ihn erobert, kann die Mehrheit gewinnen“. Diese Antipolitik funktioniert, wie der rechte Populismus, nach den Gesetzen der Spektakel-Gesellschaft. Sie braucht Events – meist sind es Demonstrationen, die in ihren Inszenierungen nicht viel mit den drögen Märschen der Siebziger- und Achtzigerjahre zu tun haben. Und sie braucht Figuren, die das Sicheinmischen glaubhaft verkörpern.

Diese sind keine Politaktivisten, sondern mehr oder weniger Etablierte, wie in Italien die Professoren Franceso Pardi und Paul Ginsborg oder Künstler wie Moretti – sympathische Menschen, deren Echtheit und Direktheit ein großes, weil medial effektives Kapital ist. Auch in Österreich bedurfte es des Zusammenspiels einer neuen, aufgeweckten Generation und von Künstlern, Publizisten, Wissenschaftlern sowie allseits respektierten Expolitikern. Die Pressure-Groups, die so entstehen, sind keine Parteien, agieren aber nicht jenseits jenes Feldes, das von der Parteienpolitik dominiert wird. Sie versuchen vielmehr, jenes „Setting“ aufzubrechen, das nur fade Partitokratie und populistische Revolte kennt.

Was daraus langfristig folgen kann, ist noch unklar – in jedem Fall begeben sich die Akteure in eine tendenziell unmögliche Position. Sie dürfen weder Politiker noch quasi berufsmäßige Aktivisten werden – dies würde sie schnell langweilig machen. Damit erhebt sich die Frage, wie dann das Engagement auf die Dauer zu erhalten ist: Sie müssen jenseits der Parteienpolitik agieren, doch – wollen sie die Populisten effektiv schwächen – das Kräfteverhältnis innerhalb des Feldes verändern, auf dem Parteien agieren.

So ist, fürs Erste jedenfalls, höchstens zweierlei zu hoffen: dass die zivilgesellschaftlichen Akteure das Klima in ihren Gemeinwesen auf ähnliche Weise beeinflussen, wie das die populistischen Rebellen vermögen, und dass die klassischen (Mitte-) Links-Formationen klug genug sind, sich so zu verändern, dass sie daraus einen Vorteil ziehen können. ROBERT MISIK