Bundestag ehrt NS-Deserteure

57 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs beschließt der Deutsche Bundestag die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure und gibt eine Ehrenerklärung für sie und alle verfolgten Homosexuellen ab

BERLIN taz ■ „Fast alle unserer Leidensgenossen sind vorbestraft gestorben“, sagt Ludwig Baumann. „Für uns Überlebende geht ein später Traum in Erfüllung.“ Der Traum: das ist die Rehabilitierung von Deserteuren der Wehrmacht, die gestern der Deutsche Bundestag in Berlin mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS und gegen das Votum von Union und FDP beschlossen hat. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Nationalsozialismus schloss das Parlament damit endlich eine noch immer bestehende Lücke im Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen und gab zugleich eine überfällige Ehrenerklärung für verurteilte Homosexuelle und für Deserteure während des Zweiten Weltkrieges ab. „Endlich erfahren die Deserteure und verfolgten Homosexuellen späte Gerechtigkeit“, sagte gestern der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck.

Bislang hatte der Bundestag eine solche Rehabilitierung konsequent vermieden. Gegner der Regelung verwiesen darauf, dass Desertion auch in demokratischen Staaten verboten ist und Homosexualität in Deutschland auch noch nach dem Ende des Nationalsozialismus strafrechtlich verfolgt worden ist. Im Unterschied zu anderen Opfergruppen galt für Deserteure und Homosexuelle deshalb bislang das Prinzip der Einzelfallprüfung – die Beweislast, dass eine Person zu Unrecht verurteilt worden war, lag also beim Betroffenen selbst. Die Ergänzung des bisherigen Gesetzestextes macht dieser Praxis ein Ende, die von Opfern seit Jahrzehnten als Verhöhnung und als Missachtung erlittener Menschenrechtsverletzungen angeprangert worden war.

Der Beschluss des Bundestages ist eine politische Entscheidung. Auf Entschädigungsansprüche hat er nur indirekten Einfluss, indem er die Zahl derjenigen erweitert, die als Opfer von NS-typischem Unrecht einen Anspruch auf bestimmte Leistungen erheben können. Allerdings sind es heute nur noch wenige, die solche Ansprüche überhaupt einklagen können: Mehr als 30.000 Todesurteile haben Wehrmachtsgerichte unterzeichnet. Heute leben nur noch etwa 400 verurteilte Deserteure – unter ihnen der 80-jährige Ludwig Baumann, der seit Jahrzehnten für eine parlamentarische Ehrenerklärung streitet.

FDP und Union stimmten gestern gegen die Ergänzung des Gesetzes. Die Union befürchtete, dass sich dadurch ehemalige Wehrmachtssoldaten, die ihren Dienst getan hatten, verunglimpft fühlen könnten: „Veteranen fühlen sich an den Pranger gestellt“, sagte der CDU-Abgeordnete Jürgen Gehb. Das Gesetz stelle eine Verklärung der Fahnenflucht dar. Außerdem habe es auch rechtmäßige Urteile in der NS-Zeit gegeben. Seit Bestehen der Bundesrepublik haben die Konservativen gegen eine historische Deutung gekämpft, die auch die Wehrmacht als Instrument des NS-Terrors betrachtet. Für die FDP erklärte Jörg van Essen, das Gesetz von 1998, nach dem eine Einzelfallprüfung notwendig war, sei ausreichend. Das frühere Gesetz war unter der Ägide von FDP-Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig entstanden.

BETTINA GAUS

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