Um sechs kam Gott

Mit Texasstiefeln an den Füßen überreichte der gar nicht so Allmächtige sein Testament

Wie zum Beweis sprang der Alte auf den Stuhl, warf sich in Positur und näselte los

Ich saß am Schreibtisch meines Büros für Ermittlungen aller Art, blies Rauchringe in die Luft und wartete auf den Sechsuhrgong der Marktkirche. Eine Grundregel im Ermittlungsgewerbe heißt nämlich: Kein Bier vor 18 Uhr. Zwei, drei Schnäpse, kein Problem, aber Bier, nie vor 18 Uhr. Niemals den Trägheitsfaktor vergessen. Dann klingelte das Telefon, fast gleichzeitig schlug die Turmuhr. Ich nahm den Hörer ab, sagte: „Bleiben Sie bitte einen Moment dran“ und schlurfte zum Kühlschrank, um mir ein Bier zu holen.

„Sind Sie noch dran?“, fragte ich in den Hörer. „Hier spricht Gott. Und den lässt man gemeinhin nicht warten. Beweg Deinen Arsch unverzüglich rüber ins Maritim.“ Es war ein krächzender Tenor, dem irgendetwas schwer im Magen zu liegen schien. Ich legte auf. Vielleicht etwas vorschnell, schließlich wird man nicht jeden Tag von Gott angerufen. Aber Klienten, die pampig werden, passen mir nicht. 15 Minuten und drei Bier später stand der Mann, der sich Gott nannte, in meinem Büro. Es hatte nicht geklingelt, ich hatte den Summer nicht betätigt, weiß der Himmel, wie der Alte das fertig gebracht hatte. Er verriet es mir nicht. Stattdessen plumpste er auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und wuchtete ein paar Texasstiefel auf die Platte, dass es staubte.

Dann zog er aus den Taschen seiner abgewetzten Lederjacke eine Flasche Bourbon und genehmigte sich eine Rutsche, die unsereinem für zwei flotte Abende gereicht hätte. Gott sah müde aus und nicht ganz nüchtern. Er rülpste laut. „Amen“, versuchte ich das Eis zu brechen.

Der Mann, der sich Gott nannte, sagte nichts. Sondern schob einen zerfledderten Zettel über den Tisch. Er war mit winzigen Hyroglyphen vollgekritzelt. „Dies ist mein Testament“, sagte Gott, „lies!“

Ich gab mir Mühe. Der Inhalt entpuppte sich als wüste und grammatikalisch recht unorthodox zusammengepampte Litanei, die – grob gesagt – ausdrückte, dass Gott mit vielem nicht mehr klarkam. Denn er gab an, systematisch und seit Jahren verfolgt zu werden. Vor allem von falschen Freunden und Propheten, die seinen Namen in den Dreck gezogen, seine Werke verhöhnt und ihm damit das Leben zur Hölle gemacht hätten. Seine Karriere wäre im Grunde völlig ruiniert. Die ganze Welt hätte sich verschworen, um ausgerechnet ihn, Gott, fertig zu machen. Jetzt aber habe er genug und sei entschlossen, abzurechnen. Kurzum, Gott stehe vor einem großen Comeback. Der letzte Satz war ein Menetekel: „Gott ist ein Künstler und lässt keinen Scheiß mit sich machen.“

„Starker Tobak“, sagte ich. „Worauf du einen lassen kannst“, brummte Gott und griff wieder zum Bourbon. Ich fragte ihn, wie Gott, der Allmächtige, in so einen fürchterlichen Schlamassel geraten konnte.

„Künstlerpech, falsche Berater, Frauen, Alkohol. Ich hab mal ein paar Songs drüber geschrieben.“ – „Songs?“, ich sah ihn ratlos an. „Yeah, Heartbreak Hotel, Twist and Shout, Let it bleed, Stagger Lie, Help, Teenage Rampage, Man in Black, Please Mrs. Henry … – und solche Sachen.“

„ ‚Please, Mrs. Henry‘ ist von Bob Dylan“, warf ich ein. „Dylan ist Gott, und Gott bin ich“, antwortete der Mann, der sich Gott nannte, ohne aus dem Konzept zu kommen. Und wie zum Beweis sprang der Alte auf den Stuhl, warf sich in Positur und näselte los: „Well, I’ve already had two beers / I’m ready for the broom / Please, Missus Henry, won’t you / Take me to my room? / I’m a good ol’boy.“

Das klang tatsächlich wie der alte Dylan. Danach sang Gott noch ein paar Beatles-Song, croonte sich durch das Hauptwerk von Aaron Neville, ehe er sich mit einer schmissigen Version von „I can get no satisfaction“ verabschiedete. Denn so plötzlich, wie er begonnen hatte, war der Spuk vorbei und der Mann, der sich Gott nannte, von der Bildfläche verschwunden. Auf dem Schreibtisch fand ich drei lange graue Haare und einen Zettel, auf dem in winzigen Hyroglyphen geschrieben stand: „Der Zug geht ab zum Himmel, der Zug, / Der Zug geht ab zum Himmel, der Zug / Der Zug geht ab zum Himmel – Samstag, um 18.07 Uhr. / Nur wer gerecht und heilig ist, darf mit nach oben. Finde die Gerechten und reserviere ein Erster-Klasse-Abteil. Mit besten Grüßen von Gott alias Johnny Cash.“

Gott sei Dank ließen sich die beiden nie wieder blicken. Trotzdem beschloss ich, fortan mein erstes Bier nicht vor 20 Uhr zu öffnen. MICHAEL QUASTHOFF