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Der Markt schaut mit

Skandalträchtige 7 Meter zu viel für das Kino mit den strengen Holzklappstühlen: Im Hamburger Bahnhof werden die Kandidaten für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin gezeigt

von HARALD FRICKE

Kunst in Berlin – war da was? Viel leer stehender Raum, billige Mieten, solides Nachtleben, das hat in den Neunzigerjahren künstlerisches Arbeiten in Berlin attraktiv gemacht wie zuvor nur in Köln oder Hamburg. Mittlerweile gehören Galerien in Toplage, erlesene Kundschaft und hohe Preisgelder zur Professionalisierung. Weg von der vor sich hin experimentierenden Gemeinschaft, hin zu mehr Wettbewerb in der kulturellen Mitte.

Das wirkt sich auf die Binnenverhältnisse aus. Schon zur Eröffnung des Preises der Nationalgalerie für junge Kunst, der dieses Jahr zum zweiten Mal ausgeschrieben wurde, gab es Streit, weil Maria Eichhorn für ihren als Kinoraum eingerichteten „white cube“ angeblich sieben Meter mehr beansprucht hat, als ihr zugebilligt waren. In der Süddeutschen Zeitung wurde gemutmaßt, hier wolle eine der ausgewählten KünstlerInnen die übrigen Eingeladenen „zum Beiwerk“ degradieren. Nun gut, irgendwer wird sich verrechnet haben, als die Kojen im Hamburger Bahnhof abgemessen worden sind; und irgendeine Lobbyarbeit findet immer statt. Doch die giftige, leicht aufgeregte Stimmung zeigt, dass Kunst in Berlin nach denselben Durchsetzungsmechanismen funktioniert wie in Paris, London oder New York auch. Leistung muss sich wieder lohnen.

Dabei ist die Auswahl, die eine Dreierjury bei 114 Einreichungen vorsortiert hat, mit so viel Umsicht betrieben worden, dass kein Trend und keine Präferenz daran sichtbar wird. Vier künstlerische Positionen haben es in die Endrunde geschafft: eine Installation vom norwegischen Duo Michael Elmgreen & Ingar Dragset, das ein Krankenbett mit einer realistischen Männerpuppe zeigt; ein psychedelischer Kurzfilm von der Britin Tacita Dean, die versucht hat, das grüne Leuchten beim Sonnenuntergang mit der 16-mm-Kamera festzuhalten; es gibt sieben großformatige Gemälde von Daniel Richter, der in Hamburg bei Werner Büttner studiert hat und nun an einer Verschränkung von politischen Themen und kunsthistorischen Bezügen arbeitet; und Eichhorn hat eben ein Kino mit strengen Holzklappsitzen konstruieren lassen, in dem die interessierten Besucher täglich um 17 Uhr einen Kurzfilm sehen dürfen, während sie nebenbei über den Einfluss technischer Bildproduktion auf die Wahrnehmung meditieren können. Das sind viele Reibungsflächen, aber wenig Programm.

Tatsächlich zeugt das Procedere von einem Dilemma, das nicht in der Sache, wohl aber am Kontext liegt. Während der britische Turner Prize, das Pendant zu dem mit 50.000 Euro dotierten Berliner Kunstpreis, an KünstlerInnen vergeben wird, die sich mit ihren Arbeiten im vorhergehenden Jahr international bewährt haben, sind die Bedingungen in Berlin unklar. Einerseits will man, wie es in der Ausschreibung heißt, einen „der wenigen Standortvorteile Berlins gegenüber anderen deutschen Städten“ nutzen; zum anderen aber ist die Hauptstadt so sehr mit Kürzungen auf dem Kultursektor beschäftigt, dass der Preis der Nationalgalerie lediglich Alibifunktion besitzt. Von den vier ausgewählten KünstlerInnen hat bis auf Dean niemand in den letzten Jahren in einer Berliner Institution ausgestellt – Dean war nur deshalb präsent, weil ihr als Gast des DAAD eine Schau zustand. Dass die übrigen Beteiligten überhaupt in Berlin zu sehen waren, lag an der Rührigkeit der sie vertretenden Galerien.

Damit ist der Preis tatsächlich kein Spiegel der Aufmerksamkeit für einzelne künstlerische Postionen, sondern eine Frage des Marktes. Nicht von ungefähr sind bereits fünf der sieben ausgestellten Bilder Richters in Privatbesitz – von London über Köln bis zu dem renommierten Essener Sammler und Arzt Thomas Olbricht. Gleichwohl gibt es auch in Berlin etwa mit dem ehemaligen Galeristen Paul Maenz finanziell gut bestückte Privatiers. Doch die Maenz-Sammlung wurde schon Ende der Neunzigerjahre in Weimar fest installiert. Der frühere DAAD-Leiter im Bereich Kunst, René Block, ist mit seiner Sammlung gleich nach Dänemark gezogen, weil die Bedingungen dort besser waren als in Berlin. Und Erich Marx, dessen Kollektion der Hamburger Bahnhof wie einen Schatz hütet, kauft zwar gerne Pop-Art, hat aber an den Entwicklungen der Berliner Kunst wenig Interesse. Als Marx gemeinsam mit dem ehemaligen Beuys-Assistenten und Warhol-Kurator Heiner Bastian seine Sammlung dem Hamburger Bahnhof zur Verfügung stellte, wurden auch Teile des Berliner Museumspersonals ausgewechselt: Wulf Herzogenrath, anerkannter Spezialist in Sachen Medienkunst, verließ das Haus, weil er nicht „Hilfsbremser eines Kunsthändlers“ spielen wollte, wie der Spiegel 1996 schrieb.

Ausgerechnet Herzogenrath ist es als Mitglied der ersten Jury zu verdanken, dass Medienarbeiten wie die von Eichhorn oder Dean die Vorrunde geschafft haben. Ansonsten wäre die Berliner Mischung vermutlich ein Triumph für Malerei und Figuration geworden, das hat in dieser Stadt Tradition seit C. D. Friedrich, Menzel, Corinth und Liebermann. Aber selbst bei der endgültigen Preisvergabe ist mit Ingvild Goetz aus München eine Sammlerin in der Jury vertreten, die ihren Schwerpunkt auf Video gelegt hat. Allerdings könnte es hier zu einem neuen Interessenskonflikt kommen – Goetz besitzt Arbeiten von Dean.

Das alles stimmt nachdenklich, wenn man die Ausstellung betritt. Dabei kann man noch an Richters Bildern erkennen, wie News-Images von brennenden Häusern in Bosnien oder der Abschiebepraxis in der Festung Europa sich auf seine künstlerische Produktion ausgewirkt haben. Ohnehin ist Realität bei allen vier Kandidaten ein sicheres Standbein – auch wenn Eichhorns Kino am Nullpunkt der Rezeption durch die hohe Konzeptschule der Siebzigerjahre gegangen ist. Nur bei dem bettlägerigen Mann von Elmgreen & Dragset gibt es Bedenken: Statt wie geplant auf die gegenüberliegende Charité-Klinik zu blicken, starrt er die Decke an. Vielleicht, weil sich das Bett während des Aufbaus ein wenig verschoben hat; vielleicht auch, weil es im Museum doch mehr zu sehen gibt als in Krankenhäusern. Selbst für Berliner Verhältnisse.

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