Wie wichtig Europa ist, zeigt die Telefonrechnung

Präsident Bush will in Berlin das amerikanische Verhältnis zur Alten Welt aufpolieren. Sein Außenminister beschwert sich vorher schon mal über die ewig mäkelnden Europäer

Geplant ist eine historische Botschaft aus einem vereinigten Berlin für ein sich vereinigendes Europa

BERLIN taz ■ Colin Powell ist zu subtilem Spott fähig, besonders wenn ihm Europäer vorhalten, die USA würden sich um den Rest der Welt nicht scheren. Vor der Reise nach Europa hätte Präsident George W. Bush noch Janez Drnovšek empfangen, teilte der US-Außenminister mit. Janez wer, so fragen nun sicher viele Europäer. Doch der Mann ist Sloweniens Ministerpräsident und vertritt somit einen der kleinsten EU-Beitrittskandidaten. Würde ein Präsident, der nur auf eigene Faust losziehen will, wirklich Zeit frei machen für so eine Begegnung?, fragt Powell Bushs Kritiker.

Vor dem Berlin-Besuch des US-Präsidenten herrscht in Teilen des Washingtoner Establishments Frust über Europa. Stets würden führende Europäer auf die USA „einschlagen“, beschwerte sich Powell vor Reisebeginn bei Journalisten aus EU-Staaten. Dabei verbringe er „einen riesigen Teil“ seiner Zeit damit, seinen europäischen Kollegen zuzuhören. „Das kann ich dokumentieren mit meinen Telefonprotokollen!“

Trotzdem gebe es „eine Reihe von Leuten in Europa, die ganz schnell darin sind, an jeder Position, die die USA bezieht, etwas auszusetzen“. Die meisten dieser Befürchtungen, etwa bei der Kündigung des ABM-Vertrages, hätten sich als verfehlt erwiesen. „All die düsteren Konsequenzen, die nach Ansicht mancher über uns hereinbrechen würden, sind nicht über uns hereingebrochen.“

Ganz so deutlich wird Bush den Ärger in seiner Administration wohl nicht formulieren. Doch mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen will der Präsident sich in Deutschland nicht lange aufhalten. Der Höhepunkt seines 19-stündigen Berlinbesuchs, die Rede vor dem Bundestag am morgigen Donnerstag, ist als großer Wurf über das amerikanische Verhältnis zu Europa angelegt. Geplant sei eine „historische Botschaft von der vereinten Hauptstadt eines vereinten Deutschlands im Herzen eines sich vereinenden Europas“, formulierte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Die frühere Professorin begeistert sich für die Symbolkraft Berlins, seit sie Anfang der 90er-Jahre ein viel beachtetes Buch zum deutsch-deutschen Vereinigungsprozess verfasst hat.

Bushs Gespräche mit Bundespräsident Johannes Rau und Bundeskanzler Gerhard Schröder dürften daher eher im Schatten der Rede stehen. Das Themenaufgebot, das Schröders Berater gestern skizzierten, liest sich ohnehin wie ein Rundumschlag: Afghanistan, Anti-Terror-Krieg und Naher Osten sind fest gesetzt. Den Streit um US-Strafzölle auf Stahl und Agrarprodukte spielt die deutsche Seite eher herunter, ähnlich äußerte sich Sicherheitsberaterin Rice in Washington. Auch muss Bush kaum mit Kritik am Ausstieg der USA aus dem Klimaprotokoll von Kioto und aus dem Strafgerichtshof rechnen. „Eine Bekräftigung unserer Bedenken in verschiedenen Bereichen“ – mehr haben die deutschen Diplomaten nicht vorgesehen.

Besondere Bedeutung kommt dagegen der Einbindung Russlands in den Westen zu, weil Bush am Donnerstag weiter nach Moskau zu Präsident Wladimir Putin fliegt und seine sechstägige Reise mit dem Nato-Russland-Gipfel in Rom beschließt. Während also Bush bei diesen Themen von seinen Erfolgen erzählt, wird Schröder freundlich nicken.

Das eine heikle Thema bereitete den Diplomaten schon bei der Tagesordnung Schwierigkeiten: Packt man den Streitfall Irak in den Komplex „Naher Osten“, und also Friedenssuche, oder zum „Anti-Terror-Krieg“? Letztlich landete der Irak beim Punkt Krieg – auch wenn in Berliner Regierungskreisen beteuert wird, damit sei keine Abkehr von der deutschen Skepsis gegenüber einem Militärschlag verbunden.

Condoleezza Rice machte aber deutlich, dass die USA die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung entlassen wollen: „Wir erwarten von Deutschland Unterstützung für die Story, die wir über diesen fürchterlichen Mann erzählen, der zeit seines Lebens versuchte, fürchterliche Waffen zu erwerben.“ Ein hoher deutscher Beamter war gestern skeptisch: „Wir werden uns doch nicht zur Unzeit eine Debatte zuziehen.“

PATRIK SCHWARZ