Saftiger Stoff

■ Morgen: Fassbinders Film-Provokation „Satansbraten“ als Theaterstück

Damals, im Jahr 1976, schlugen die Zuschauer die Hände über den Köpfen zusammen. Ein sadomasochistischer Lustmord, ein durchgeknallter Schriftsteller, der sich für Stefan George hält und sein schwachsinniger Bruder, der tote Fliegen sammelt und beim Anblick einer Frau immer „Fliegen – Ficken“ schreit. Am Schluss wälzen sich alle orgiastisch im Raum und beschließen 116 Filmminuten, die Kritiker bestenfalls noch als „Amoklauf gegen bürgerliche Konventionen“ verstehen konnten. Ein bisschen Skandal, ein bisschen Provokation, aber nicht viel: „Satansbraten“ ist einer der Fassbinder-Filme, die schnell vergessen wurden. Heutzutage läuft er noch alle paar Jahre im TV-Nachtprogramm. Wer „Satansbraten“ kaufen will, muss das bei einem amerikanischen Videoversand tun und bekommt für 59.- Dollar auch gleich englische Untertitel dazu.

Carsten Werner ist vor fünf Jahren eines Nachts über den Streifen gestolpert und hat sich prompt gedacht: „Das wäre ein saftiger Stoff für eine Produktion mit dem ganzen Ensemble.“ Denn statt geschockt zu sein, hat er sich prächtig amüsiert: „Der Film hat vom Tempo her viel mit guter Comedy zu tun.“ Was Anke Thissen, die gemeinsam mit Werner die Regie führt, ähnlich sieht: „Der Film ist intelligenter und böser als Al Bundi. Die Situationen liegen immer knapp neben der Realität und werden dann zugespitzt und ausgereizt. Das Potenzial des Films ist eine Atmosphäre, die suggeriert: Alles ist möglich und erlaubt.“

Comedy und Freiheit also. Aber da war noch etwas anderes, was die beiden angesprochen hat, etwas bei Fassbinder, in dem sich die Theatermacher wiedererkannt haben: „Fassbinder hat seine Ästhetik aus seinen Möglichkeiten abgeleitet und das hieß: Zu wenig Geld, Leute und Zeit. Außerdem merkt man bei dem Film, dass er aus einer Gruppe heraus entstanden ist.“ „Satansbraten“ ist in erster Linie eine „Inspirationsquelle“ für Werner und Thiessen, ein „Impulsgeber“ für die eigene Theaterästhetik, nicht weniger und nicht mehr. Die Themen des Films und seine Funktion sind eher zweitrangig: „Rassismus wird deutlich“, und es sei ein „Panorama einer inzestuösen Kulturgesellschaft“ meint Werner. Worum es aber eigentlich geht, das ist „die Frage: Wie kommt man mit einer Gruppe spielwütiger Persönlichkeiten im Theater an den Punkt, etwas freizusetzen?“

„Wir haben zu Beginn eine Woche lang Filme gekuckt, nicht nur Fassbinder, auch Castorf und Dogma-Filme“ erzählt Thissen vom Probenprozess. „Dann haben wir das Dialogskript von ,Satansbraten' dreimal mit verteilten Rollen gelesen und in der ersten Probenwoche mit einem Durchlauf aus dem Gedächtnis gestartet. Dabei ging es um die Lust am Miteinander-Spielen und um die Irritationen und Sprünge zwischen privatem Verhalten und Spiel. Das ist das, was mir am Ende vorschwebt.“

Die Truppe machts: „Wichtig ist, sehr eigene, eigentlich inkompatible Charaktere, Typen, auch Freaks zu finden, mit denen man eine Session starten kann. Die Eigenart, das Private soll bei den Leuten sichtbar bleiben, obwohl sie natürlich ihre Rolle spielen“, so Werner. Eine Besonderheit der Inszenierung wird sein, die Garderobe und den Aufenthaltsraum nicht hinter der Bühne einzurichten, sondern vor der Bühne. Jede Aktion – und sei's der ganz private Griff zur Wasserflasche wegen Durst – soll Bestandteil der Inszenierung sein.

Alles dezidiert live, ohne Einspielungen von Band, ohne Effekte aus dem Bühnenhimmel: Musik gibt's nur, wenn ein Schauspieler vor den Augen des Publikums das Radio einschaltet, Türen knallen nur dann, wenn ein Schauspieler sie zuschlägt. Drei Zimmer hat Ausstatter Denis Fischer gebaut und damit eine dreiteilige Simultanbühne entworfen, die dem Ensemble schnelle Szenenwechsel ermöglicht. Thiessen: „Manche Aktionen sind nicht fertig geprobt, sondern sind organisiert nach Spielregeln. Diese Szenen werden jeden Abend anders sein.“ Denn, so Werner: „Wir sind nicht auf einem Fassbinder-Symposium.“

Klaus Irler

Premiere: Morgen, 20.30 Uhr