Haspler mit Hornbrille

Der Kabarettist, Schauspieler und junge Hüpfer Dieter Hildebrandt feiert heute seinen 75. Geburtstag

Den Drang zur Bühne verspürte er schon als Pimpf im niederschlesischen Bunzlau, wo er in der Oberrealschule wie einige Mitschüler begeistert davon war, „Menschen nachzumachen und ihnen etwas vorzumachen. Wer uns in die Quere kam, wurde parodiert – am liebsten Josef Goebbels“ (Die Zeit). 1943 ist dann erst mal Schluss mit lustig, der 16-Jährige wird als Luftwaffenhelfer eingezogen, zum Arbeitsdienst versetzt und soll schließlich mit der Heeresgruppe Wenck den Führer vor den Russen retten.

  Nachdem dies glücklich misslingt, findet er sich in einem britischen Kriegsgefangenenlager, die Eltern später im oberpfälzischen Windischeschenbach wieder. In Weiden holt er das Abitur nach und arbeitet zwei Jahre im amerikanischen Garnisonslager Grafenwöhr. 1950 geht er nach München, um Kunstgeschichte, Literatur- und Theaterwissenschaften zu studieren – und sich in diversen Jobs Geld fürs Studium zu verdienen. Einer davon ist richtungsweisend: Platzanweiser in Trude Kolmanns „Kleine Freiheit“. Dort lernt er neben Erich Kästner und anderen Autoren sein großes Vorbild Werner Finck kennen, von dem er jenes Stilmittel übernimmt, das er für sich perfektionieren und zum Markenzeichen machen sollte: die Conférence mit unfertigen Sätzen, Verhasplern und Versprechern, bei der das nicht Gesagte zur Aussage wird – und bei der man nie weiß, was inszeniert oder improvisiert ist und welche Bälle er sich just selbst zugeworfen hat.

Das Weitere ist Kabarett- und Fernsehgeschichte: Schauspielprüfung, Gründung der Münchner „Lach- und Schießgesellschaft“, bundesweite Erfolge durch TV-Auftritte in den Sechzigerjahren – die Zeit der dicken Hornbrillen, Zigarren und Felle. Politiker rühmen sich ihres Humors, Kabarettisten werden höflich von Bundeskanzler Erhard empfangen, eine überparteiliche Fraktion aus Erler, Gerstenmaier, Mende und Strauß eröffnet in der ZDF-Sendung „Politiker fragen – Kabarettisten antworten“ Letzteren, dass man sie, so es sie nicht gäbe, doch „glatt erfinden müsste“.

In den Siebzigern ändert sich das Klima: Politiker werden dünnhäutiger, die nachrückende APO-Generation kann mit dem „bürgerlichen“ Nachkriegskabarett nichts mehr anfangen und demonstriert lieber selbst, die Nonsenswelle schwappt aus den Fernsehkästen und beschert dem Fernsehvolk Insterburg & Co., Otto und „Klimbim“. Doch während Kabarettkollege Hallervorden sich zum „Didi“ der Nation hochblödelt, schreibt Hildebrandt mit den „Notizen aus der Provinz“ im ZDF eine andere TV-Geschichte. Die Parodie auf Politmagazine vermischt in Filmbeiträgen reale Nachrichten mit erfundenen und, verschärft durch Hildebrandts bierernste Moderation, verunsichert so bewusst die Zuschauer – irritiert aber besonders christdemokratische Politiker. Nach etlichen Querelen, zwei Absetzungen und einem Grimmepreis für eine Folge, die nie gesendet wurde, kommt mit der 66. das „vorläufige“ Aus für die „Notizen“. Programmdirektor Stolte höchstselbst verordnet ihm eine „Denkpause“ – als ob Hildebrandt jemals mit dem Denken Pause machen könnte. Da wechselt er lieber zum SFB und erfindet einen „Scheibenwischer“, mit dem man medialen Schleim von der Mattscheibe putzen kann. Geadelt durch Franz Josef Strauß’ Prädikat der „politischen Giftmischerei“, gesegnet mit Sternstunden (Rhein-Main-Donau-Kanal!), gefördert durch das Ausscheren des Bayerischen Rundfunks aus dem Gemeinschaftsprogramm der ARD, geschmäht von „Comedians“, die heute kein Schwein mehr kennt, gestützt von Bruno Jonas, der ihm quasi als Balljunge beispringen kann, wenn sich der Altmeister bei seiner quirligen Art mal gar zu arg verhaspeln und einer seiner Bälle ins Aus gehen sollte, ragt Hildebrandts „Scheibenwischer“ als Fels in der Fernsehbrandung. Auch wenn der Fels humortechnisch mittlerweile manches Moos angesetzt hat.

Gründe zum Aufhören hätte Dieter Hildebrandt indes genug gehabt. Der erfolgreiche Schauspieler („Kir Royal“) und Schriftsteller („Vater unser – gleich nach der Werbung“) hätte den Kabarettisten schon lange in Rente schicken können. Aber der Bühnenmensch braucht seine Bühne, und es macht ihm immer noch Spaß – „manchmal sogar mehr als früher, ich habe ja nicht mehr so viel Zeit“. Von wegen! Wenn wahr ist, dass man im hohen Alter erst mild wird und nachsichtig, dann ist Dieter Hildebrandt noch ein verdammt junger Hüpfer. Wir gratulieren trotzdem aufs Herzlichste.

LUDWIG LANG