Tiger im Pyjama

Der Inder Viswanathan Anand darf nicht um den WM-Titel im Schach spielen, obwohl ihm dies durchaus zustünde

Im Kampf um die Rückkehr auf den WM-Thron ist Viswanathan Anand ins Abseits geraten. Der Inder wurde vom Weltverband Fide ausgebootet. Anstatt den treu an seiner Seite stehenden Exweltmeister bei der geplanten Titelvereinigung mit Konkurrenz-Champion Wladimir Kramnik zu unterstützen, gab Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow in Prag allen Forderungen von Garri Kasparow nach. Der Weltranglistenerste aus Russland hatte 1993 das Chaos mit zwei WM-Titeln verursacht und seit der Trennung mit verschiedenen eigenen Ein-Mann-Verbänden die Fide bekriegt. Anand, genannt der „Tiger von Madras“, will sich nun auf sein anstehendes Schnellschach-Match bei den Chess Classic Mainz (15. bis 18. August) gegen den neuen Fide-Weltmeister Ruslan Ponomarjow und sein Bundesliga-Debüt beim SC Baden-Oos konzentrieren.

taz: Herr Anand, Sie haben zwar kürzlich das hochklassige Turnier in Prag gewonnen. Weil aber trotzdem demnächst Kasparow, Ponomarjow, Kramnik und der Turniersieger von Dortmund um den WM-Titel spielen, gelten Sie und Wassili Iwantschuk als die großen Verlierer von Prag.

Viswanathan Anand: Generell war das Turnier für mich ein Erfolg. Auch die geplante Titelvereinigung binnen zweier Jahre ist für das Schach gut. Was das diesbezügliche Meeting anlangt, in dem der Fahrplan bestimmt werden sollte, wurde mir tags zuvor schon klar, dass eine Teilnahme keinen Sinn macht. Alles war besiegelt – mit Ausnahme von Kramniks Standpunkt. Den mussten sie erst noch weich klopfen und unter Druck setzen. Das dauerte eine Weile, bis auch er in den sauren Apfel biss. So bestand kein Anlass mehr für mich und Iwantschuk, an dem Treffen teilzunehmen.

Fühlen Sie sich von der Fide, die von Ihnen und Vizeweltmeister Iwantschuk stets unterstützt wurde, verraten?

Ich habe keine Lust, mir Feinde zu schaffen. Ich war in keiner guten Verhandlungsposition und allein das zählt. Kasparows Verhandlungsposition war hingegen sehr stark und er bekam all das, was er wollte. Ich sehe das wie in einer Schachpartie: Der Typ mit der besten Position gewann. Für die Fide hoffe ich, dass die Zukunft für alle Schachspieler wieder besser aussieht.

Ihre Ausbootung muss für Sie eine herbe Enttäuschung sein.

Sicher, ich bin nicht glücklich mit dem Ergebnis von Prag. Ich will aber nicht deswegen mein Leben mit Gram erfüllen. Ich schaue nach vorne, spiele im Juni in Leon mein Match mit Computer-Beratung gegen Kramnik, danach im August in Mainz gegen Weltmeister Ruslan Ponomarjow und künftig die Bundesliga. Außerdem verbringe ich mehr Zeit in Indien, wo ich eine Schach-Akademie für Talente eröffnen möchte.

Alexej Schirow, Ihr Gegner im WM-Finale 2000, nannte die Entscheidung der finanziell maroden Fide auch eine „moralische Bankrotterklärung“.

Das geht mir zu weit. Auch ich war sehr enttäuscht von der Entscheidung. Dennoch besitze ich Respekt vor Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow. Er hat viel fürs Schach getan und viel Geld in Turniere gepumpt. Deshalb will ich ihn jetzt nicht beleidigen.

In der nächsten Saison spielen Sie bei Bundesliga-Aufsteiger Baden-Oos. Mit dem Engagement in Baden-Baden sind Sie der Großmeister mit der höchsten Ratingzahl aller Zeiten in der Schach-Bundesliga.

Bisher habe ich so gut wie nie in einer Liga gespielt. Sporadisch in Frankreich für Lyon, zudem im Europapokal für Belgrad. Aber beide Wettbewerbe werden kompakter in kurzer Zeit gespielt, nicht wie die Bundesliga über sieben Wochenenden hinweg. Natürlich verfolge ich auch regelmäßig das Geschehen in der Bundesliga, die zu den stärksten der Welt zählt.

Wie oft werden Sie in den 15 Partien für Baden-Oos antreten?

Laut Kontrakt sechs- bis achtmal. Vermutlich in den wichtigen Duellen um die Meisterschaft mit Lübeck und Porz sowie in den Heimkämpfen.

Schach-Profis sind Langschläfer.

Manche, wie Kramnik, bereiten sich bis nachts um 3 oder 4 Uhr vor und stehen erst direkt vor den Partien am Nachmittag auf. Ich versuche normalerweise um 9.30 Uhr aus dem Bett zu kommen.

Dann haben Sie ein Problem: Die Bundesliga-Runden am Sonntag beginnen bereits um 9 Uhr.

In der Tat ist das die bisher größte Herausforderung, der ich gegenüberstand (grinst)! Mich wundert es nicht, dass neunzig Prozent der schnellen Remis in der Bundesliga am Sonntagmorgen gemacht werden. Vielleicht sollte ich um 9.50 Uhr aufstehen, bis 9.59 Uhr im Pyjama ans Brett eilen, den vorgeschriebenen ersten Zug innerhalb der ersten Stunde Spielzeit machen und mich wieder für eine halbe Stunde hinlegen. Dann hätte ich danach noch wie im Schnellschach eine halbe Stunde Bedenkzeit für die Partie. Das sollte reichen.

INTERVIEW: HARTMUT METZ