Anklage oder Versöhnung

Zwischen Polen und Deutschland herrscht Uneinigkeit darüber, wo das „Zentrum gegen Vertreibung“ gebaut werden soll. Während polnische Intellektuelle Breslau favorisieren, beharrt die Chefin des Vertriebenenbundes, Erika Steinbach, auf Berlin

aus Warschau GABRIELE LESSER

Warum ist es für die Deutschen so wichtig, dass in Berlin ein „Zentrum gegen Vertreibung“ gebaut wird? Warum könnte es nicht auch in Breslau, Brünn oder Lemberg stehen? Diese Fragen stellen sich viele Polen, die die deutsche Diskussion um das Projekt des Bundes der Vertriebenen (BdV) verfolgen, das nun auch im Bundestag auf breite Unterstützung gestoßen ist.

Muss es etwa Berlin sein, weil hier auch das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas stehen wird? Oder muss es Berlin sein, weil sich Erika Steinbach, Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen und CDU-Hinterbänklerin, damit ein eigenes Denkmal setzen will?

In Polen ist man mehr und mehr überzeugt, dass das Steinbach-Projekt Ausdruck eines neuen Nationalismus in Deutschland ist. Einen Tag vor der Bundestagsdebatte hatten Adam Michnik, früherer Bürgerrechtler und heute Chefredakteur der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza, und der Deutschlandexperte Adam Krzeminski einen offenen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder und Premierminister Leszeck Miller veröffentlicht – und sich eine Abfuhr geholt. Michnik und Krzeminski hatten für ein europäisches „Zentrum gegen Vertreibung“ plädiert – in der schlesischen Metropole Wroclaw/Breslau: „Das wäre weder ein Museum nur deutschen Leidens und deutscher Klage, das Täter zu Opfern machte, noch ein Museum der polnischen Martyrologie und Kolonisation, sondern ein Museum der Katastrophe und Zeichen der Erneuerung unseres gemeinsamen Europas. Ein Museum in Breslau würde die Barbarei dokumentieren, die einen Schatten auf das gesamte 20. Jahrhundert wirft und die sich in Pommern, Schlesien, im Sudetenland, im polnisch-ukrainischen Wolynien oder in den Beskiden ereignete und Europäer vieler Nationen traf.“

Die Abfuhr der Vertriebenenchefin kam postwendend: Es sei „erfreulich“, dass Michnik „ein so schwieriges Thema so offen aufnehme“. Steinbach hat offensichtlich in den letzten zehn Jahren intensiv weggehört und weggeschaut, um die Debatten, die in Polen über die Vertreibung der Deutschen, der Polen und der Ukrainer geführt worden, ignorieren zu können. Statt sich mit dem Vorschlag „Breslau“ als Standort auseinander zu setzen, erklärt sie, dass es „jederzeit im Bereich der polnischen Möglichkeiten“ liege, „eine Einrichtung dieser Art in Breslau zu schaffen“.

Die Überwindung, die es viele Polen kostet, ein solches Museum im eigenen Land, noch dazu in einer Stadt zu errichten, die über Jahrhunderte deutsch war, würdigt sie mit keinem Wort. Dabei wäre das geplante Zentrum, sollte es tatsächlich „europäisch“ sein, das größte Versöhnungsprojekt Europas. Michnik hatte nicht vorgeschlagen, dass neben Berlin auch in Breslau ein „europäisches Zentrum gegen Vertreibung“ zu bauen sei. Das würde keinen Sinn machen. Entweder man baut gemeinsam ein großes Zentrum, oder lässt es ganz sein.

Steinbach schreibt Michnik, warum es Berlin sein muss. Das Argument ist grotesk: Berlin sei in der Satzung der Vertriebenenstiftung als Museumsstandort festgeschrieben. Das ist alles. Kein historisches Argument, kein politisches, nichts. Noch dazu stehe Schröder „in der Verantwortung“, dieses Ziel der Vertriebenen auch zu realisieren. Er dürfe sich nicht „eines dramatischen Teils der deutschen Geschichte durch Abschiebung nach Polen“ entledigen.

Nicht genug damit, dass die CDU-Hinterbänklerin den Kanzler zum Erfüllungsgehilfen im Dienste eines Interessenverbandes macht: Sie bekennt sich auch zu einem Europabild, das man in Deutschland lange überwunden glaubte: „Die gut 15 Millionen deutschen Vertriebenen stammen aus vielen europäischen Ländern. Es ist also kein primär deutsch-polnisches Thema, sondern ebenso ein deutsch-tschechisches, ein deutsch-ungarisches, ein deutsch-rumänisches, ein deutsch-slowenisches.“

In Berlin soll also kein „europäisches Zentrum“ entstehen, wo beispielhaft Schicksale der rund 50 Millionen Heimatlosen aus Europa in den Jahren 1939 bis 1948 nachgezeichnet werden, dann auch die Vertreibung der Albaner im Kosovokrieg. Das Zentrum soll ein Schandmal Europas werden. Ein gigantisches Zentrum der Anklage: „Seht her, was ihr uns angetan habt!“