Kriegsgefahr in Kaschmir wächst

Britischer Außenminister warnt vor einem Atomkrieg. Indiens Premier Vajpayee ruft Soldaten zur Vorbereitung auf Entscheidungsschlacht auf. Pakistan bittet UNO um Vermittlung im Kaschmirkonflikt. Tote und Verletzte bei Grenzgefechten

NEW DELHI/ISLAMABAD rtr/ap/afp Der britische Außenminister Jack Straw hat vor einem Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan um die Himalayaregion Kaschmir gewarnt. „Wenn die Truppen auf beiden Seiten verstärkt werden und angesichts der Tatsache, dass beide Seiten Atomwaffen besitzen und die Fähigkeit haben, sie einzusetzen, dann haben wir das Risiko eines Atomkrieges“, sagte Straw. Im Rundfunksender BBC rief er gestern die internationale Gemeinschaft auf, alles zu unternehmen, um die Konfliktparteien dazu zu bewegen, einen Schritt vom Abgrund zurückzutun. Straw wird kommende Woche in der Krisenregion erwartet. Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sprach von einer gefährlichen Situation. Alle Anstrengungen gingen dahin, beide Seiten zu einer Verringerung der Spannungen an der Grenze zu bewegen, sagte er.

Unterdessen hat Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee die Hoffnung geäußert, dass ein Krieg mit Pakistan noch vermieden werden könne. Während eine Pressekonferenz in Srinagar sagte er gestern auf die Frage eines Journalisten nach „Kriegswolken“: „Der Himmel ist klar. Aber manchmal schlagen Blitze auch bei klarem Himmel ein. Wir hoffen, dass kein Blitz einschlagen wird.“ Die Situation in der Grenzregion Kaschmir bezeichnete er als ernst. Am Mittwoch hatte Vajpayee seine Soldaten zu Kampfbereitschaft aufgerufen und sie dazu aufgefordert, sich auf die „entscheidende Schlacht“ gegen die islamischen Rebellen in der Region vorzubereiten.

Pakistan bat die UNO um Vermittlung in der Kaschmirkrise. Die UNO müsste Neu-Delhi an den Verhandlungstisch bringen, um die „explosive Situation“ zu entschärfen, hieß es in Briefen des pakistanischen Außenministers Abdul Sattar von gestern an UN-Generalsekretär Kofi Annan und den Weltsicherheitsrat. Pakistan sei zur Zusammenarbeit bereit, die die Spannungen abbauen und den Dialog fördere. Indien sei „eine arrogante Macht“, die den Kampf gegen den Terrorismus als Vorwand für eine aggressive Politik nutze. Zuvor hatte Pakistans Präsident Pervez Muscharraf Indien vor einem „militärischen Missgeschick“ gewarnt und mit dem Einsatz aller Mittel gedroht, sollte sein Land angegriffen werden.

Zudem kündigte Islamabad an, Soldaten von der afghanischen Grenze abzuziehen. „Wir können unsere östliche Grenze (zu Indien) nicht unbewacht lassen“, sagte Informationsminister Nisar Memon gestern. Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, dass auch Truppen aus Sierra Leone zurück in die Heimat beordert würden, die dort als Blauhelme eingesetzt sind. Am Mittwochabend versicherte Pakistan erstmals ausdrücklich, es werde ein Einsickern von Muslimextremisten aus pakistanisch kontrollierten Gebieten nach Indien unterbinden.

Unterdessen wurden bei neuen Grenzgefechten nach pakistanischen Angaben vier Pakistaner getötet und rund zwölf verletzt. Nach indischen Angaben wurden ein indischer Soldat getötet und eine Frau verletzt, drei indische Dörfer gingen in Flammen auf. Nach Angaben pakistanischer Behörden hat die Evakuierung von Dörfern an der Waffenstillstandslinie begonnen.