Dicke Wolle, blöde Lage

■ Egal wo und egal von wem: Schafe brauchen manchmal Hilfe

Was ein echter Nordfriese ist, so denken die Menschen in Bayern, der hilft einem auf dem Rücken liegenden Schaf immer wieder auf die Beine. Ganz uneigennützig und unabhängig davon, ob sein eigenes Tier am Wegrand liegt oder ein fremdes. So ist das in Nordfriesland. Sagt in Bayern die Legende.

Und in Wirklichkeit? Tatsächlich gilt: Wenn einem Schaf die Sonne auf die Wolle brennt, dann legt es sich gerne einmal nieder. Dabei kann es in ungeschorenem Zustand auf den Rücken kippen, jedenfalls wenn es auf einer unebenen Fläche steht. „Dann liegt es da, alle Viere von sich gestreckt“, sagt Frau Baumbach. Sie und ihr Mann besitzen auf der Insel Nordstrand bei Husum die Schäferei Baumbach. Echte Nord friesen also.

Mit der vielen Wolle, die ihr Volumen um ein Vielfaches erhöht, sind die Tiere schlicht unbeweglich und können sich nicht auf die Seite rollen. „Wenn das Touristen sehen, denken die, das Schaf ist tot“, berichtet Hans Werner Baumbach über die Begegnung der einheimischen Fauna und fremder Menschheit. Und so bekommen Baumbachs öfter Anrufe verunsicherter Touristen. Aber auch die Menschen von Nordstrand, erzählt der Schafzüchter, riefen lieber mal an statt die Viecher einfach selbst wieder auf die Beine zu stellen. Dabei kommt es bei schönem Wetter durchaus zwei bis drei Mal am Tag vor, dass ein Schaf in so eine im wahrsten Sinne des Wortes blöde Lage kommt.

Wenige hundert Kilometer weiter südlich, auf einem 2.000 Hektar großen Naturschutzgebiet in der Diepholzer Moorniederung, ist erste Schafshilfe erste Bürgerpflicht. „Bei den alten Einwohnern ist das gang und gäbe. Die kennen das“, sagt Jan Teerling, Besitzer der Schäferei Teerling.

Sollte der Ursprung der Legende also hier liegen? Nicht im hohen Norden, sondern – aus nordfriesischer Sicht – fast schon in Süddeutschland? Aus bayerischer Perpektive aber liegt Diepholz vermutlich direkt hinterm Deich. Oder ist all das vielleicht gar nicht eine Frage des Ortes, sondern der Zeit?

„Solche alten Sitten gelten heute nicht mehr“, sagt ganz anders als Teerling der Schäfer Stephan Harmann aus Balge bei Nienburg. Er habe noch nie von dem Brauch gehört, dass Fremde ein auf dem Rücken liegendes Schaf retten. Stephan Harmann stellt seine Tiere immer selbst wieder auf die Beine. Das ist auf jeden Fall notwendig, denn wenn der Pansen sich aufbläht – und das passiert in der Rückenlage –, wird das Tier ohne Hilfe über kurz oder lang sterben.

Einen Nordfriesen gibt des dann aber doch, der die liebenswerte Übung des Schafedrehens kennt. Arnold Baudewig, Mitarbeiter der Schäferei Baumbach, hat schon beobachtet, wie Touristen einem wollenen Wesen in eine angenehmere Position verholfen haben. „Die, die das kennen“, sagt er, „machen das schon.“ Anne Reinert