Einladung in die Psychogrotte

Agonie als Entertainment: Die kalifornische Band Oxbow bringt progressives Martyrium auf die Bühne, ihr Leidensweg führte sie vom Noiserock früher Tage zu einer Mutationsform des Spirituals. Heute spielt sie im Bastard

Eine gesunde Portion Zynismus hat noch niemandem geschadet: Er weckt die Lebensgeister und erhöht die Aufmerksamkeit für die Zustände, durch die man sich tagtäglich bewegt. Überall Hass, Missgunst, Verrohung, Depression; und man selbst mittendrin, ohne es wahrhaben zu wollen.

Aber der Panzer aus Arroganz und Amoral hat längst zu bröckeln begonnen. Du ertappst dich dabei, wie du dem Bettler an der Straßenecke plötzlich ein paar Mark zusteckst. Nein, du bist nicht wirklich ein schlechter Mensch – nur Realist. Andere greifen dafür eben zur Waffe und verlassen das Haus dann im schwarzen Mantel. Oxbow dagegen haben irgendwann angefangen, Musik zu machen.

Oxbow befinden sich in einem Zustand der permanenten Sublimation solch destruktiver Momente. Mit ihrem fünften Album, „The Evil Heat“, haben sie jetzt eine Tonalität der Erhabenheit und Tiefe erlangt, die ihren Weg vom Noiserock früherer Tage auf dem englischen Label Pathological über die neo-urbane Lieblingsbefindlichkeit Blues bis zu dieser Mutationsform des Spirituals nachzeichnet. Es war keine zwingende Entwicklung, aber in Anbetracht von „The Evil Heat“ nimmt sie fast evolutionäre Züge an.

Zusammengenommen ergeben ihre fünf Alben eine komplexe Leidensgeschichte monomanischer bis pathologischer Männlichkeitsfantasien, irgendwo im Beziehungsgeflecht zwischen Oshimas „Im Reich der Sinne“ und „Der letzte Tango von Paris“. Oxbow reichen sozusagen die Butter, die den Schmerz des absoluten körperlichen Miteinanders zumindest ein klein wenig lindert. Kurzum: An den roten Fäden, die sich durch dieses Gesamtwerk ziehen, könnte sich manch Stadtneurotiker gehörig die Zähne ausbeißen.

Die Bay Area, die kleine Bucht zwischen San Francisco, Oakland und Berkeley, in der das Epizentrum Oxbows liegt, ist eigentlich kein Ort der Apokalyptik und dräuenden Offenbarungslyrik. Nordkalifornien strotzt trotz Dotcom-Depression vor Gesundheit und Vitalität. Hohes Jogger- und Wellness-Club-Aufkommen, viel Sonne und Maximum an Natur in unmittelbarer Nähe. Weniger Amerika ist innerhalb Amerikas kaum drin.

Oxbows progressives Martyrium könnte nicht deplatzierter sein als unter der Sonne Kaliforniens. Aber ihr Drama ist ein ortloses, es findet direkt unter uns statt. In uns. Immer und überall. Und es hat neutestamentarische Qualitäten.

Nachdem der Protagonist der Oxbow-Songs auf ihrem letzten Album, „Serenade in Red“, einer erlesen Sammlung morbidester „Chansons“, das Modell einer wahren, aufopferungsvollen Liebe komplett über Bord geworfen hat, ist er auf „The Evil Heat“ mit vergleichsweise geringem Gepäck angekommen. Jetzt gilt es nur noch, den Körper zu überwinden, dieses von Anbeginn der Zeit verdammte Stück Fleisch.

Alles strebt nach Erlösung, jede Silbe, der Ton, und es ist schier überwältigend, wie niederschmetternd präzise dieses Winden und Wimmern herausgespielt wird. Die sehr diffizile Thematik erfordert ein Höchstmaß an Intimität, die Oxbow in ihren Texten und ihrer Form der Kammermusik gefunden haben.

Oxbows Konzerte, eigentlich mehr Performances, sind eine freundliche Einladung in diese Psychogrotte. Sänger Eugene Robinson, ein schwarzer Hulk, hat den Schauwert eines gestrandeten Wals. Seine Agonie ist unser Entertainment. Dazu zerrt die Band mit schwerkalibrigem Avant-Noise an unserem Nervenkostüm.

Das mag jetzt vielleicht wie ein übermotiviertes Transgressionstheater klingen, die kathartische Wirkung einer Oxbow-Show ist allerdings nicht zu unterschätzen. Das ist eben das Gute im Vergleich zu anderen Schlechte-Kindheits-Rockern à la Nickelback und Staind: Man muss sich bei Oxbow einfach selten entscheiden zwischen avanciertem Amoralismus und der Faust im Nacken.

ANDREAS BUSCHE

Am Samstag, dem 25. Mai, ab 22 Uhr im Bastard im Prater, Kastanienallee 3–5, Prenzlauer Berg