Espresso de Luxe …

… oder Plörre to go? In keinem Ort sprießen so viele Schnellcafés aus dem Boden wie in der Hauptstadt. Der heutige Koffeinist muss wissen, was er will. Ein unrepräsentativer, anregender und teurer Spaziergang durch Berlin

Fast tausend Tassen Kaffee trinkt der Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr – meistens Filterkaffee. Filterkaffee? Moderne Urbanisten trinken Kaffee gepresst und „to go“ – wer sitzt, hat Zeit und kann nicht wichtig sein. Auch wenn in Berlin sonst nichts boomt – Coffeeshops sprießen wie Pilze aus dem Boden. Starbucks, die Mutter aller Schnellcafés, eröffnet heute die ersten zwei Läden. Anlass genug für eine ebenso kritische wie willkürliche Bestandsaufnahme.

J-Cups

Der auf Zeitgeist getrimmte Take-away-Coffeeshop der Firma Jacobs, hat etwas, was bislang kein anderes Schnellcafé hatte: „J-Cups Frozen“, eine Art Milchshake mit Kaffeegeschmack. Kalter Kaffee wird im Sommer mittlerweile zwar überall verkauft, aber normalerweise nurauf ordinären Eiswürfeln. Die Monopolstellung wird J-Cups aber nun verlieren, denn mit seinem „Frappuccino“ bietet Starbucks ab heute ein ähnliches Getränk an – frisch zubereitet, mit einem Schuss Espresso. Bei J-Cups strömt das koffeinhaltige Eisgetränk aus einem Zapfhahn, und der war schon beim Softeis suspekt. Mit 1,50 bis 2 Euro, je nach Größe, liegt der Jacobs-Ableger preislich allerdings deutlich unter den übrigen Eiskaffee-Anbietern. Dafür sucht man in der Filiale am Zoo aber auch vergebens gemütliche Sitzmöbel, und laute Euro-Popmusik treibt die Gäste raus auf die Holzbänke oder away. Mit Kaffeekultur hat das nicht viel zu tun. BD

Segafredo

Sieht alles irgendwie italienisch aus, oder? Steht ja auch Segafredo drauf – auf den Tassen, dem Zucker, dem kleinen Schokolädchen. So richtig amore-rot alles, doch dann das: Auf der Schirmmütze der Bedienung ein verräterischer Schriftzug: Mitropa. Der aus der DDR herübergerettete Charme der Bahn AG.

Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Nach Mitropa schmeckt der Cappuccino in der Filiale am Bahnhof Friedrichstraße nicht, obwohl es auch etwas weniger geschäumte Milch getan hätte. Beim Latte Macchiato fehlt manchmal der Schaum völlig. So sind sie eben, die großen Ketten, für individuelle Handschrift ist da kein Platz. Das war auch schon bei den Kindl-Eckkneipen so. Mit Segafredo hält die weite Welt des Kaffees auch in die letzte Bahnhofshalle Einzug. Für Kassel mag das als Kulturtransfer durchgehen, in Berlin ist es überflüssig. WERA

Coffee Culture

Ganz und gar nicht überflüssig ist das Coffee Culture in der Luisenstraße. Das liegt vor allem am extravaganten Ambiente. Schlichte, runde Holztische im weitläufigen Raum. Und an den Wänden immer wieder ein paar Designersofas, die einen aber nicht davon abhalten, die Füße auszustrecken. Wer hier den Kaffee mitnimmt, ist selbst schuld.

Und dann kann man natürlich den Espresso Macchiato für 1,60 Euro auch noch am Fenster zu sich nehmen und nach draußen auf die Kranken und Siechen auf dem Weg von und zur Charité schauen. Oder auf die Unverbesserlichen, die nebenan bei Tchibo einkehren. So schön dekadent kann Kaffee-Kultur sein. Ein Muss. WERA

Einstein

Ein Herz. Mit braunen Konturen in den Milchschaum gezogen. Nur Verzierung – aber eine, die Herz und Geschmacksknospen aufgehen lässt, aus Vorfreude auf die perfekte Mischung aus Espresso und Milchschaum. So elegant wie das Herz auf dem Caffe Latte ist auch die Einrichtung der Einstein-Coffeeshops: Dunkles Holz, dunkles Leder. Finstere Preise. Dazu gibt es eine große Auswahl an Zeitungen – denn trotz der Brownies und Muffins will „Einstein Kaffee“ keine schnelle Bar nach amerikanischem Vorbild sein.

Eine Prise Kaffeehauskultur wehte schon vor 22 Jahren nach Berlin. Neben genanntem US-Gebäck gibt es Croissants und Ciabatte. Nicht besser als anderswo. Aber der Kaffee – unschlagbar.

SAM

Berliner-Kindl-Imbiss

Es gibt auch in der neuen Mitte Orte, an denen Wert auf Stil gelegt wird. Zum Beispiel am „Berliner-Kindl-Imbiss“ – Friedrich- Ecke Puttkamerstraße. Der mundwarme Kaffee, der hier nicht „Coffee to go“, sondern „zum Mitnehmen“ heißt, wird in weißen 0,2-Liter-Plastebechern serviert. Eine Dame mit polnischem Akzent fragt freundlich, in welcher Variante der Kunde das 60-Cent-Getränk wünscht. „Mit Zucker und Milch?“

Doch die Kundschaft steuert diese Drive-by-Location weniger wegen des kräftigen, soliden Filterkaffees an, sondern vor allem wegen Currywurst und Kindl. Man bespricht Geschäftliches. „Spielt jar keene Violine, watta hat“, sagt ein Bauarbeiter zum Kollegen. „Wenna morjen wieda nich kommt, kanna bleiben, wo der Pfeffer wächst.“

Das Ambiente ist zwar nicht typisch berlinerisch, aber sehr urban. Ein schiefes Vordach schützt den Stehtisch vor der grellen Sonne; zwei schmale Seitenwände bieten Windschutz. Der ist bitter nötig, nutzt aber nicht viel, denn der warme Südostwind bläst Zement von der Baustelle gegenüber herüber, und die gurrende Taube auf dem Vordach lässt ab und an auch etwas fallen. Wie gut, dass der Kaffee auch zum Mitnehmen ist.

ROT

Balzac Coffee

Das Engelchen auf der Vespa, das das Logo der Hamburger Kaffee-Firma ziert, braust zügig auf die neue Coffee-to-Go-Hauptstadt zu. Dabei behauptet sich der Espresso-Laden erfolgreich auf der Meile der leer stehenden Bürogebäude, der Friedrichstraße. Hier gibt’s das übliche frei kombinierbare Angebot von Latte Macchiato bis Espresso, heiß oder kalt, grande bis klein, entkoffeiniert oder doppelt, von Macademia-Geschmack über Kokos bis zu Schoko, mit braunem Zucker, Honig, oder wer’s mag, sogar Salz und Pfeffer. Trendy ist der den Landhausstil kopierende Kaffebrauer, weil hier die dubiosen transatlantischen Geschmacksverdreher als „Le sirop de monin“ sogar flaschen- und fläschchenweise verkauft werden. Wer also unbedingt zu Hause selber panschen will, kriegt hier den nötigen Stoff: zum Beispiel Haselnuss-Sirup. Dazu perfektes Merchandizing mit Balzac-Tassen und hausgeröstetem Kaffee und zünftige, selbst gemachte amerikanische Backware. AW