Bitte nicht zu viel Angst vor Terror

Innenminister Schily warnt vor „Alarmismus“ als Folge des 11. September. Allerdings gehe von radikalislamischen Gruppen in Deutschland weiter Gefahr aus, sagt der neue Verfassungsschutzbericht. Bei politischen Gewalttaten liegen Deutsche vorn

aus Berlin OTTO DIEDERICHS

Bei der Vorstellung des ersten Verfassungsschutzberichtes nach den Anschlägen vom 11. September hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern davor gewarnt, „sich in eine Stimmung des ständigen Alarmismus zu manövrieren“. Schily hatte offenbar das Bundeskriminalamt in Wiesbaden im Blick, das seit einigen Wochen mit immer neuen Warnungen von sich reden macht. Zwar hätten insbesondere arabische Mudschaheddin-Gruppen hier „eine hohe Gefährlichkeit“ erreicht. Allerdings habe man keine konkreten Informationen über eventuell bevorstehende Anschläge, sagte der Minister.

Viel mehr als solche ständig wiederholten Allgemeinplätze hatte der Minister dann auch schon nicht mehr zu sagen. Um in Zukunft irgendwann einmal etwas genauere Informationen zu erlangen, werde die jetzt schon „erkleckliche Zahl von arabischen Muttersprachlern“ im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz noch einmal „deutlich verstärkt“. Konkreteres konnten die Verfassungsschützer nur bei den erkannten Mitgliedern und Anhängern extremistischer Ausländerorganisationen melden. Deren Zahl lag 2001 mit 59.100 leicht über dem Niveau des Vorjahres. In der Mehrzahl waren es Anhänger verschiedener islamistischer Organisationen (31.950), gefolgt von linksextremistischen (18.250) und extrem nationalistischen Gruppierungen (8.900). Die zahlenmäßig größte extremistische Organisation sei immer noch die türkische „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“. Bei der Überprüfung einbürgerungswilliger Ausländer dürfe man deshalb nicht nachlässig werden. Hier seien in der Vergangenheit einige Fehler gemacht worden. Von den insgesamt erfassten 1.020 Straftaten im Bereich „politisch motivierte Ausländerkriminalität“ wurden in dem Bericht 144 als gewalttätig eingestuft.

In der rechten Szene wollen die Verfassungsschützer hingegen einen leichten Rückgang festgestellt haben. Durch einen Mitgliederschwund bei den rechtsradikalen Parteien der Republikaner und der Deutschen Volksunion sei die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr von 50.900 auf 49.700 gesunken. Doch so positiv, wie Schily glauben machen will, ist die Sache nicht, denn gleichzeitig stieg die Zahl der gewaltbereiten Rechten nach Verfassungsschutzbeobachtungen von 9.700 auf 10.400. Terroristische Strukturen oder ein Konzept für einen „zielgerichteten bewaffneten Kampf“ seien jedoch nicht zu erkennen. Allerdings kam es im letzten Jahr zu insgesamt 10.054 rechtsextremistischen Straftaten, darunter 709 Gewalttaten. Mehr als die Hälfte (374) waren fremdenfeindlich motiviert, 18 gelten als antisemitisch.

Etwa die Hälfte aller bekannt gewordenen rechten Gewalttaten habe sich in Ostdeutschland ereignet. Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Mit 85 gezählten rechtsextremistischen Gewalttaten liegt Sachsen in der Statistik an erster Stelle, gefolgt von Niedersachsen (79) und Bayern (72). Erst an vierter, siebter und neunter Stelle folgen Brandenburg (67), Thüringen (54) und Sachsen-Anhalt (45). Mecklenburg-Vorpommern, eigentlich eher als eine der Hochburgen brauner Gesinnung bekannt, bildet seltsamerweise das Schlusslicht. Nicht eine einzige Gewalttat wollen die Schweriner Schlapphüte 2001 registriert haben. Er habe keinen Anlass, zu vermuten, so Schily, dass das Land die Statistik „schönen“ wolle, schließlich gebe es beim Rechtsextremismus „kein Plansoll“. Eine Erklärung konnte er allerdings nicht liefern.

Nach wie vor bildet das Internet das wichtigste Kommunikations- und Agitationsmedium der rechten Szene. Von 1.300 Homepages ging die Zahl auf etwa 920 zurück. Dies führte Schily auf den „umfassenden Lösungsansatz“ von konsequenter Strafverfolgung und Selbstkontrolle der Netzanbieter zurück. Probleme bereiteten jedoch immer noch die US-amerkanischen Server. Großes Lob zollte der Minister dem Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes.

Keine Veränderungen hatte Schily beim Linksextremismus zu vermelden. Hier habe sich die Zahl nur leicht von 33.500 auf 32.900 verringert. Rund 7.000 Personen werden gewaltbereiten Autonomen zugerechnet. Im Bereich des Linksextremismus sei es im letzten Jahr zu 4.418 Straftaten, davon 1.168 Gewalttaten – überwiegend aus dem autonomen Spektrum – gekommen.