Ungleiche Partner

Putin erklärt sich zur Abrüstung bereit – und bekommt von Bush keine Gegenleistung

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Pünktlich zur Visite von George W. Bush in Moskau erhöhte Kremlchef Wladimir Putin den Spitzenmilitärs noch einmal die Bezüge. Reiner Zufall ? Hinter vorgehaltener Hand verschwiegen die Generäle nicht, dass es sich hier um ein Kaufangebot des Kreml handelt. Für die Besiegelung einer ewig währenden Freundschaft mit der Nato, meinen sie allerdings zähneknirschnd, sei die finanzielle Kompensation recht bescheiden. Und gegenüber der Iswestija brachte ein Major der strategischen Raketeneinheiten all seinen angestauten Unmut auf den Punkt: Habe Russland unter Präsident Jelzin dem Westen mit Siebenmeilenstiefeln Zugeständnisse gemacht, so gebe der Kreml jetzt mit der Geschwindigkeit einer strategischen Rakete nach.

Deren Arsenal, so vereinbarten die beiden Präsidenten gestern vertraglich, wollen beide Seiten bis 2012 auf 2.200 bis 1.700 Gefechtsköpfe abbauen. Washington und der Kreml feiern diesen Schritt seit Tagen als eine historische Zäsur, die ihresgleichen sucht. Die Bereitschaft, die die Parität des Kalten Krieges sichernden strategischen Waffen um zwei Drittel zu stutzen, war längst überfällig. Der Vollzug 11 Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR gibt Auskunft über Beharrungsvermögen und Trägheitskonstanten der politisch Verantwortlichen auf beiden Seiten. Ansonsten hätte man noch weiter abrüsten können. Denn wer braucht heute noch die Kapazität eines zigfachen Overkills?

Das arme Russland kann froh sein, sich die Last der Raketensicherung langsam vom Hals schaffen zu können. Immerhin gab Moskau ein Fünftel des Militäretats für die Erhaltung des stategischen Arsenals aus. Da der neue Vertrag nicht vorschreibt, die Gefechtsköpfe zu zerstörren, sondern eine Einmottung für alle Eventualitäten erlaubt, sinkt die potenzielle Gefahr aber nicht. Wenn russische Skeptiker darauf verweisen, durch die Forderung der USA, die Waffen einzulagern, habe Washington an Flexibilität gewonnen, trifft das zu. Auch wenn es nicht so gemeint ist: Das Abkommen hat der Beigeschmack einer verspäteten Kapitulationserklärung.

Dieser Eindruck hätte vermieden werden können, wenn die USA im Zusammenhang mit ihrer nationalen Raketenabwehr NMD ein Zeichen zur Kooperationsbereitschaft gesendet hätten. Desgleichen bei der regionalen Raketenabwehr TMD, die in den Krisengebieten Mittelasiens eingesetzt werden könnte. Bereits vor einem Jahr hatte Putin den USA die russische S-300 empfohlen, die sich dazu eignen soll. Bevor Washington in Moskau jedoch Waffen einkauft, muss dem mehr als eine Anti-Terror-Koalition vorausgegangen sein.

Die elektronischen Medien, die der Kreml seit Putins Amtsübernahme unter seine Kontrolle gebracht hat, sparen kritische Momente geflissentlich aus. Sie zelebrieren den Bush Besuch als einen weiteren Schritt zu unverbrüchlicher Kooperation mit dem Westen. Genauso wie es eben auch Kremlchef Wladimir Putin unermüdlich betont. Er steht damit aber ziemlich allein da. Die politische Elite folgt ihm bis auf einige aufgeklärte Köpfe bei seinem außenpolitischen Kurs nicht. Und auch die Bevölkerung wundert sich. Noch im Februar waren es anlässlich der Olympischen Spiele dieselben Massenmedien, die wegen einiger zweifelhafter Schiedsrichterentscheidungen eine antiamerikanische Hysterie im Lande entfachten.

Nur knapp ein Drittel der Bevölkerung hält die USA für eine befreundete Nation, fast genauso viele sehen in ihnen einen Gegner. Trotz allem hegen Russen gegenüber Amerikanern noch mehr Sympathien als umgekehrt. Da gibt es noch einiges an Vertrauensarbeit zu leisten. Selbst Washingtons Botschafter in Moskau, Alexander Wershbow, wunderte sich über die Unbeirrbarkeit des Kremlchefs, der trotz Sturmwarnung weiter Kurs auf den Westen nimmt: „Ich habe den Eindruck, dass Präsident Putin sein eigener Sicherheitsberater ist“, meinte der Diplomat.

Der Kremlchef hat keinen Grund, dem Westen dankbar zu sein. Nach dem Beitritt zur Anti-Terror-Koalition kündigte Bush einseitig den ABM-Vertrag auf, und auch die Nato hält an der Osterweiterung bis an Russlands Grenze fest. Washington wird die Basen in Zentralasien und im Kaukasus nach der Operation Antiterror wohl auch nicht mehr räumen. Auch wenn Moskau darüber gern weiterhin verhandeln würde.

Zurzeit freilich entspricht die US-Präsenz dort auch russischem Interesse. Ist die Terrorgefahr einmal gebannt, wird niemand mehr Moskau fragen. Zumal die zentralasiatischen Staaten unter den US-Fittichen ein bisschen Wohlstand zulegen und auch in Sachen Menschenrechte vom Westen kaum unter Druck gesetzt werden. Das Schweigen über Russlands Vorgehen in Tschetschenien ist die einzige Belohnung, die Putin Kritikern vorweisen kann. Für Enttäuschung sorgte, dass die USA im Vorfeld der Visite nicht einmal das Jackson-Vanik Amendment abschafften, jenes Überbleibsel aus Sowjetzeiten, das Handelsvergünstigungen verhinderte, weil Moskau sowjetische Juden nicht ausreisen ließ. Und auch die Anerkennung Russlands als Marktwirtschaft, die erst den Eintritt in die WTO ebnet, Handelshemmnisse abbaut und Investitionen ins Land holt, hatten die Amerikaner nicht im Gepäck. Auf Mitte Juni wurde der Kreml vertröstet. Die asiatischen Potentaten in Kasachstan gehören indes schon zum Club dazu. Ohne wirtschaftliche Prosperität wird Putin das Steuer nicht Richtung Westen halten können.