„Konsensprinzip soll die Ängste vor Hierarchie bekämpfen“

Kurt Haymann, Mitglied des Attac-Koordinierungskreises, über neue Struktur und Meinungsfindung der Organisation: Erfahrungen bei den Grünen sind eine Warnung für viele

taz: Herr Haymann, hat der Attac-Ratschlag seine überbordende Tagesordnung bewältigt?

Kurt Haymann: Ja, das ist wahrscheinlich das erstaunlichste Ergebnis. Wir haben es geschafft, mit über 400 Leuten im Konsensprinzip alles zu verabschieden, was wir uns vorgenommen hatten: eine Resolution, eine neue Struktur und die Besetzung der Gremien. Nur die Frage, wie in den Ortsgruppen künftig die Delegierten gewählt werden sollen, ist an dem Problem der Frauenquote gescheitert.

Wenn also der nächste Ratschlag auch eine Vollversammlung statt einer Delegiertenversammlung wird, könnten nun die Vertreter der Gewerkschaften genau das machen, was die Ortsgruppen so fürchten: drei Busse voller Mitglieder hinkarren und gnadenlos alles überstimmen.

Das sehe ich nicht, zumal auf dem nächsten Ratschlag ja keine Gremien mehr gewählt werden. Ich gehe davon aus, dass es dann aber eine Einigung über den Delegiertenschlüssel geben wird, sodass dieses Szenario auch in Zukunft nicht eintritt.

Nun sollen die Delegierten aber ohnehin nur zu Gremienwahlen und zum Haushalt gefragt werden. Zur Verabschiedung dessen aber muss es eine Zweidrittelmehrheit geben: Ist das nicht mehr Reglementierung, als selbst der Bundestag sich verordnet?

Nein, im Gegenteil: Klar ist, dass Haushaltfragen so kompliziert sind, dass sie eher von Eingeweihten behandelt werden sollten. Deswegen geben wir sie nicht in die Vollversammlung und unterwerfen sie nicht dem Konsensprinzip, sondern eben dem Mehrheitsprinzip der Delegierten, die sich eingearbeitet haben. Durch die Zweidrittelmehrheit wird gewährlesitet, dass es wirklich sehr viel Zustimmung dazu gibt.

Die größte Furcht der Ortsgruppen war, dass der Koordinierungskreis und auch der neue Rat zu viel Macht anhäufen.

Natürlich stehen die Mitglieder des Koordinierungskreises mehr im öffentlichen Interesse als die der Ortsgruppen. Aber man muss die Ängste für Ämterhäufung und Hierarchien aus den Erfahrungen heraus verstehen, die viele vor allem bei den Grünen gemacht haben. Es ist kein Wunder, dass zum Beispiel Attac Stuttgart sich am Wochenende so gegen alles, was nach Hierarchie roch, gewandt hat: Schließlich ist der baden-württembergische Grünen-Landesverband seit Jahrzehnten der restriktivste. Fritz Kuhn hat hier schon immer den Alleinherrscher gemacht. Aber das Konsensprinzip soll diese Ängste ja gerade bekämpfen.

Der sozialistische Linksruck verfolgt bei Attac ganz offenschtlich strategische Ziele: Hier soll Attac zum Forum für altbackene Stamokap-Forderungen gemacht werden.

Nun, deshalb hat der Linksruck ja bei den Wahlen zum Koordinierungskreis eine deutliche Abfuhr gekriegt: Dort ist er nicht hineingewählt worden.

Attac ist jetzt Teil der „Antikriegs- und Friedensbewegung“: Wie sieht das denn mit der Beteiligung deutscher Truppen an UN-Friedenstruppen aus, wie sie auf dem Ratschlag etwa für Israel/Palästina diskutiert wurden?

Kriegseinsätze deutscher Truppen lehnen wir ab. Über die Beteiligung an friedenserhaltenden Maßnahmen ist noch nichts entschieden.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN