Attac gewinnt an Form

Die aufstrebende Anti-Globalisierungs-Gruppe gibt sich eine Struktur – mit dem schon öfter gefassten Vorsatz: „Wir machen das Beste aus allem“

„Alles kann man sich vorstellen, nur nicht, dass Attac den traurigen Weg der Grünen geht“

aus Frankfurt ULRIKE WINKELMANN

Meinungsbildung kann so schön sein. „Wir halten den Anschluss an die internationale Bewegung nur, wenn wir die Abschaffung von Welthandelsorganisation, Internationalem Währungsfonds und Weltbank fordern“, ruft Klaus Ludwig, Mitglied von Attac Köln und der „Sozialistischen Alternative“, in den Saal. „Die Bewegungen in der Dritten Welt fordern ‚Zur Hölle mit dem IWF!‘, danach sollten wir uns richten!“

Gegenrede: „Wir müssten diskutiert haben, wie eine Reregulierung des Weltmarkts aussehen soll. Sonst können wir diese Forderung nicht begründen“, erklärt Thomas Fritz, Attac Berlin. Daniel Blobel, auch aus Berlin, präsentiert einen Kompromissvorschlag: „Wenn sich die Institutionen nicht als reformierbar erweisen, müssen sie eben abgeschafft werden.“ Der Saal klatscht erleichtert. Klingt logisch.

In der neuen Selbstverständniserklärung, die das globalisierungskritische Netzwerk Attac gestern auf seiner „Ratschlag“ genannten Hauptversammlung in der Frankfurter Universität im viel beschworenen Konsens verabschiedete, stand schließlich Folgendes: „Attac setzt sich ein für Internationale Institutionen“, die „den Interessen von Entwicklungsländern, sozial Benachteiligten und der Umwelt“ und nicht denen „von Industrieländern, Konzernen und korrupten Eliten dienen“. Womit Attac Deutschland wieder einmal seine Fähigkeit bewiesen hätte, Spaltpilzkulturen einfach zu unterlaufen.

Doch nicht nur neue Grundsätze, auch eine Struktur hat sich Attac verpasst. Die Frage der Selbstfindung war wesentlich anstrengender als die große Politik: Nach vielen, vielen Abstimmungen einigten sich die über 400 Ratschlagenden: Künftig soll es ein neues Gremium geben, den „Rat“. Seine 42 Mitglieder werden die Diskussionen zwischen den Ortsgruppen und dem auf 21 Mitglieder erweiterten Koordinierungskreis vermitteln.

Die Entscheidung, ob und wie die mittlerweile 6.800 in 130 Orts- und Aktionsgruppen organisierten Mitglieder Delegierte aufstellen sollen, scheiterte dagegen an einem wichtigen Detail: der Frauenquote. Es brauchte ein Kölner PDS- und Attac-Mitglied, um die Versammlung daran zu erinnern, dass unweit von der Uni, in der Frankfurter Paulskirche, „1848 schon einmal eine frisch gegründete Versammlung an Verfahrensfragen gescheitert ist, während draußen vor der Tür die Revolution stattfand“.

„Wir werden etwas ganz Neues, etwas, was es noch nie gegeben hat – zwischen Nichtregierungsorganisation und Netzwerk und Verein“, hatte Hugo Braun von den „Euromärschen gegen Erwerbslosigkeit und Armut“ zuvor versprochen: „Wir machen das Beste aus allem.“ Nun ist Optimismus Teil des Attac-Erfolgsgeheimnisses: Nach Art der sich selbst erfüllenden Prophezeiung traut man sich erst mal alles zu, um dann festzustellen, dass man ernst genommen wird.

Ob die neuen Strukturen nicht noch mehr Chaos produzieren, als sie eigentlich verhindern sollten, wird sich zeigen. Das Vorhaben etwa, einen Haushalt von Delegierten mit Zweidrittelmehrheit zu verabschieden, klingt recht kühn – dem Bundestag zum Beispiel genügt dafür die einfache Mehrheit.

Aber an anderen Organisationen, selbst wenn sie sich demokratisch nennen, will sich Attac gar nicht orientieren. Alles, erklärte Braun, könne Attac sich vorstellen – nur nicht, „dass wir den traurigen Weg der Grünen gehen“. Wobei nicht alle Exgrünen freudig integriert werden: Jutta Ditfurth etwa blieb recht einsam in einer hinteren Hörsaal-Reihe sitzen.

Aber auch die etablierten Parteien haben inzwischen gemerkt, dass es sich nicht lohnt, Attac offen zu umgarnen. „Hessen-Süd“ lautet das Stichwort: Dieser SPD-Bezirk hatte schon einmal versucht, Attac-Mitglied zu werden, und wurde abgelehnt. SPD und Grüne gingen lieber dazu über, um das Amt der wahren Globalisierungskritiker zu wetteifern. Matthias Berninger, grüner Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, erklärte dem Tagesspiegel, er wolle sich „nicht einschleimen“, außerdem seien ihm die meisten Attac-Forderungen zu altbacken. Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles verkündete dagegen, Mehrheiten für globalisierungskritische Positionen gebe es nur mit der SPD.

Anders sieht es mit den Gewerkschaften aus: Nach dem Riesendienstleister Ver.di ist nunmehr auch die Lehrergewerkschaft GEW bei Attac eingetreten. Das langatmige „Grußwort“ von Ver.di-Chef Frank Bsirske – beziehungsweise von seiner Pressestelle – zum Auftakt des Ratschlags ließ hoffen, dass diese Gewerkschaftstradition demnächst ignoriert wird. Im „Impuls-Referat“ des Koordinierungskreises, gehalten von der Bundesjugendsekretärin des DGB, Claudia Meyer, wurde allerdings deutlich, dass Attac seinen Erfolg auch den teils mächtigen, teils nur gut informierten Mitgliedsorganisationen verdankt: Nur mit deren „Expertenwissen“ könne Attac den „Kampf um die Köpfe“ oder, um im für Attac Deutschland typischen Akademiedeutsch zu bleiben, die „Diskurshoheit“ gewinnen.

Die so sehr um ihre Basisbestimmtheit bemühten Ortsgruppen haben gar nicht gemerkt, dass damit auch ihre Köpfe gemeint waren.

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