Das Bibbern in der Biobranche

Monatelang haben Ökobetriebe in ganz Deutschland ihr Geflügel mit verseuchtem Weizen gefüttert. Der Ruf des Wirtschaftszweiges steht auf dem Spiel

aus Berlin NICK REIMER

Die Ökolebensmittel-Branche wird von einem schweren Skandal erschüttert: Betriebe in mehreren nördlichen Bundesländern haben an Geflügel monatelang Weizen verfüttert, der mit dem giftigen Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen verseucht war. Gestern räumte „Naturland“-Geschäftsführer Gerald A. Herrmann gegenüber der taz ein, dass dies bereits der zweite Nitrofen-Fall binnen eines halben Jahres sei. Schon im Januar habe „das hervorragende Qualitätsmanagement des Babynahrungsmittelherstellers Hipp“ ergeben, dass Nitrofen in Endprodukte gelangt war. „Hipp hat unseres Wissens die Produkte eingefroren.“ Dass andere Produkte aus dem ersten Fall auf den Markt gelangt sind, könne er aber nicht ausschließen.

Weil Nitrofen bereits seit Anfang der 80er-Jahre verboten ist, werden „normale“ Proben nicht mehr auf Herbizide wie Nitrofen untersucht. Hipp jedoch garantiert seinen Kunden auch solche Tests. Nur deshalb ist der Einsatz von Nitrofen bekannt geworden. Hipp hatte seine Erkenntnisse über den Mastbetrieb an den Futtermittelhersteller – die Oldenburger GS Agri – weitergeleitet. „Anfang April haben wir schließlich davon erfahren“, so Herrmann. Naturland-intern sei daraufhin ein Qualitätssicherungssystem eingesetzt worden, die Bundesanstalt für Fleischforschung habe externe Kontrollen angeordnet.

Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium bestätigte am Freitag Hinweise auf eine neuerliche Nitrofen-Verseuchung: Diesmal seien 100 Tonnen belastetes Futtermittel aus Brandenburg aufgetaucht, die bei GS Agri verarbeitet und an Ökobauern vertrieben worden waren. Nachgewiesen wurde die Verseuchung diesmal bei einem Produzenten von Biogeflügel aus dem Landkreis Vechta.

Herrmann erklärte gestern, dass der aktuelle Fall sich auf Triticale bezieht, eine Hybridzüchtung aus Weizen und Roggen. Nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums sind diesmal 6 Milligramm Nitrofen pro Kilo Futtermittel nachgewiesen. Ein doppelter Skandal: Erst ein Tipp, den das Berliner Verbraucherschutzministerium bekam, brachte beide Fälle Ende letzter Woche ans Licht.

Der niedersächsische Agrarminister Uwe Bartels (SPD) glaubt deshalb, dass Fleisch und Eier vom zweiten Fall – betroffen sind diesmal Produzenten von Biogeflügel – längst in den Handel gelangt sind und auch verzehrt wurden. „Betroffen sind 100 Biobetriebe in Deutschland“, sagte der Minister. Etliche Bundesländer haben Überprüfungen eingeleitet, mehrere Ökobetriebe wurden vorsorglich gesperrt. Im Verdacht steht die Agrarverarbeitungsgenossenschaft AVG aus Stegelitz-Flieth, die mehr als 1.000 Hektar in der brandenburgischen Uckermark bewirtschaftet. „Es gibt bislang nur Hinweise, keine belastenden Indizien“, erklärte gestern Jens-Uwe Schade, Sprecher des brandenburgischen Landwirtschaftsministeriums.

Bereits nach dem ersten Fall habe es im April gegen die AVG konkrete Beschuldigungen gegeben. Daraufhin habe der brandenburgische Landwirtschafstminister Wolfgang Birthler (SPD) unangekündigte Kontrollen angeordnet. „Die aber haben gezeigt: Der Betrieb ist sauber“, so Schade. Der Ministeriumssprecher schloss aus, dass die Verseuchung etwa durch das Grundwasser oder durch Altlasten hervorgerufen worden ist. „Bei den nachgewiesenen Konzentrationen muss jemand das Zeug schon ganz bewusst auf den Acker schmeißen oder vorsätzlich dem Getreide beimischen.“ Deshalb kündigte Birthler gestern an, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Der Skandal werde den Biolandbau „weit zurückwerfen“, befürchtet Stefan Palme, agrarpolitischer Sprecher der brandenburgischen Anbauverbände. Palme, selbst Biobauer, ist zufälligerweise Nachbar des verdächtigten Betriebes. „Ich kenne deren Arbeitsweise als zuverlässig und seriös“, sagt Palme. Zwar sei die AVG kein reiner Ökobetrieb, er arbeite vielmehr nach den Richtlinien der EU-Ökoverordnung, die sowohl konventionelle als auch Biolandwirtschaft parallel ermöglichen. „Verseuchungen dieser Größenordnung muss man als Nachbar aber bemerken“, so Palme. Wegen der laufenden Ermittlungen sei der AVG-Geschäftsführer derzeit aber nicht zu einer Stellungnahme bereit.

Völlig unklar ist bislang, warum die Öffentlichkeit so spät informiert wurde. Deshalb schaltete auch das niedersächsische Agrarministerium die Staatsanwaltschaft ein. „Der Verband wusste dank der Eigenkontrollen schon im April von der Nitrofen-Belastung, informierte aber die Behörden nicht“, so Ministeriumssprecher Hanns-Dieter Rosinke in Hannover. Landwirtschaftminister Bartels erstatte deswegen bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Futtermittelgesetz und wegen Betrugs.