Vom Krieg und von Kisten

■ Ehemalige ZwangsarbeiterInnen besuchen Bremen und Bremerhaven, erinnern sich an ihr früheres Leben und haben fast zu viele freundliche Worte für die Deutschen übrig

Es ist keine Reise wie jede andere, die die 16 Frauen und Männer aus Russland und der Ukraine nach Bremen geführt hat. Es ist eine Reise in die eigene Vergangenheit.

Die Frauen und Männer wurden während des Zweiten Weltkrieges als junge Menschen nach Bremen und Bremerhaven verschleppt und zur Arbeit in der Rüstungsproduktion, bei Borgward, im Flugzeugbau, im Schiffbau oder auf der Großbaustelle des Bunkers Valentin gezwungen oder lebten bei ihren Eltern in Zwangsarbeiterlagern.

Die meisten von ihnen wurden nach Kriegsende innerhalb kurzer Zeit in ihre Heimatländer zurückgebracht und haben Deutschland seither nicht mehr gesehen. Zum Beispiel Wladymir Iwanowitsch Ossartschuk, der jetzt zum ersten Mal sein Geburtsland besucht. Gerade das bisher kaum erforschte Schicksal der Menschen, die als Kinder in den Lagern lebten oder dort geboren wurden, steht bei diesem Besuch im Mittelpunkt. So wurden drei der Gäste als Kinder mit ihren Familien nach Bremen verschleppt, drei weitere in Zwangsarbeiterlagern geboren.

Dass sie die Zeit im Lager überlebten, war großes Glück. In Niedersachsen wurden neugeborene Kinder sofort von ihren Müttern getrennt und in so genannten „Pflegestätten“ verwahrt. Sie wurden kaum versorgt, so dass die meisten starben. Zwar durften die Mütter in Bremen und Bremerhaven ihre Kinder in der Regel behalten, dennoch starben viele Säuglinge kurz nach der Geburt an Krankheiten oder Unterernährung. Die Überlebenden blieben ihr Leben lang von den traumatischen Erfahrungen geprägt. So wie Valentina Georgjewna Bork, die 1944 als Dreijährige in einer Kiste von ihren Eltern aus dem Land geschmuggelt wurde. Ohne zu wissen, was vor sich ging, durfte sie stundenlang keinen Ton von sich geben. Da ZwangsarbeiterInnen in der ehemaligen Sowjet-union bei ihrer Rückkehr als „Kollaborateure“ verfolgt wurden, wurde das Thema zum Tabu, so dass Valentina bis heute kaum etwas über diese Zeit weiß.

Wie Hartmund Müller, Vorsitzender des Vereins „Walerjan Wrobel – Verein Zwangsarbeit“ erklärt, ist dieser Besuch für die Frauen und Männer eine Möglichkeit, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Reaktionen auf die Anschreiben des Vereins, der seit zehn Jahren Besuche einzelner Personen organisiert und im Auftrag des Senats die Kontakte für die Gruppenbesuche herstellt, seien durchweg positiv: „Alle wollen kommen. Es hat noch nie jemand mit nein geantwortet,“ erzählt er. Schwierigkeiten bereite aber vor allem das Alter der Betroffenen. „Viele von denen, die noch leben, sind gar nicht mehr in der Lage, die Reise anzutreten oder müssen kranke Angehörige pflegen.“

„Ich bewundere unsere Gäste für ihren Mut, an die Stätten ihrer einstigen Qualen zurückzukehren,“ sagte gestern Karin Röpke, die Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales.

Der Besuch ist für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit Ängsten und schlimmen Erinnerungen verbunden. „Wenn ich an früher denke, wird mir jedesmal frostig,“ sagt Alexander Eremenko. Hass auf die Deutschen empfinde er aber nicht. „Ich habe viele Freunde in Deutschland, ich liebe das deutsche Volk,“ erklärt Eremenko, der einzige Gast, der nach Kriegsende noch fünf Jahre in Deutschland lebte und 1994 schon einmal in Deutschland zu Besuch war.

Auch die anderen legen großen Wert darauf, zu betonen, dass man „nicht alle Deutschen über einen Kamm scheren“ dürfe, wie es eine Frau ausdrückt. Sie erzählen Erinnerungen von Deutschen, die ihnen geholfen haben oder heimlich Hitler verfluchten, und übertreffen sich gegenseitig in Dankbarkeitsbekundungen für die Einladung nach Bremen. „Es ist unsere Sache, uns zu bedanken,“ reagierte Brigitte Böhme, Präsidentin des Bremischen evangelischen Kirchenausschusses, darauf.

Neben Fahrten zu den Stätten der Zwangsarbeit stehen auch Gespräche mit Schülerinnen und Schülern aus Bremen und Bremerhaven auf dem Programm, so mit einer Klasse des Schulzentrums Parsevalstraße, die erst kürzlich in Moskau und St. Petersburg war, um dort Kriegsdenkmäler zu pflegen.

Vivien Mast