berliner szenen Einkaufswagen im Flur

Mit und ohne Euro

Die Bewohner meines Friedrichshainer Hauses kommunizieren untereinander äußerst wenig. Ein Hallo genügt im Vorderhaus und auch hinten. Es sei denn, unvorhergesehene Dinge passieren im Treppenhaus, der Durchfahrt oder im Innenhof. Das Gemeckere ist groß, wenn etwa ein Mitmieter ein altes Möbelteil einfach an der sowieso überfüllten Mülltonne abstellt. Im Dunkeln natürlich. „Wer macht denn so was?“, hört man dann erregte Nachbarn fragen.

In die Rubrik der Missetaten, die den Seelenfrieden eines ordentlichen Friedrichshainer Mieters stören, gehört auch die ungemäße Nutzung eines Einkaufswagens. Ein solcher stand plötzlich in der Durchfahrt. Natürlich leer. Aber mit einem Euro im Schlitz. Die Nachbarin zwei Stock höher klagt, wundert sich aber gar nicht, denn das sei bestimmt jemand aus dem Hinterhaus gewesen, die im Vorderhaus würde sie ja alle kennen. Ich scheide damit also aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Und lerne, dass Hinterhäusler per se verdächtig sind.

Der Einkaufswagen stand eine Woche rum. Immer mal wieder probierte ich, den Euro aus dem Schlitz zu kriegen. Mit den bloßen Händen ist da nichts zu machen. Mit Werkzeug anzurücken war mir zu blöd und peinlich. Auch andere Mitbewohner versuchten sich. So kam man ins Gespräch über den Einkaufswagen im Speziellen und die Lage der Welt im Allgemeinen. Irgendwann war der Euro weg. Jemand hatte die Kette zersägt, an der das verwinkelte Ding hängt, mit dem man an das Geld kommt. „Hast du das geschafft?“, fragt mich ein Typ aus dem Hinterhaus und lacht. Ein paar Stunden später rollt die Nachbarin zwei Stock höher den Wagen vor die Tür. Ohne Euro ist er nun gar nichts mehr wert. ANDREAS HERGETH