Befreit von politischen Vorgaben

Der Polizeieinsatz rund um die Anti-Bush-Demonstrationen stößt im Innenausschuss auf breites Lob. Nur die CDU möchte das Deeskalationskonzept einmotten. Die Grünen fürchten hingegen, dass das neue Selbstverständnis der Polizei noch nicht an deren Basis angekommen sei

„Aus einzelnen Schwalben wird noch lange kein Sommer.“

von PLUTONIA PLARRE

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre wagt man es kaum zu glauben: Die Berliner Polizei wirkt wie verwandelt. Das gilt für die „revolutionären“ Aufzüge am 1. Mai genauso wie für die Demonstrationen am 21., 22. und 23. Mai, als Zentausende mit fantasievollen Aktionen gegen die Politik des in Berlin weilenden US-Präsidenten Georg W. Bush protestierten. Nur am Abend des 22. Mai war die Polizei in alte Verhaltensweisen zurückgefallen, als der Lustgarten nach einem vorangegangenen Katz-und-Maus-Spiel mit übertriebener Härte geräumt wurde. Von der berechtigten Kritik an dieser Episode abgesehen, sind in diesen Tagen aber selbst Abgeordnete von PDS und Grünen, die in der Vergangenheit nicht im Ruch übertriebener Polizeifreundlichkeit standen, voll des Lobes über die Berliner Ordnungshüter. So viel Zustimmung mache die Polizeiführung schon richtig nervös, flaxte Innensenator Ehrhard Körting (SPD) gestern nach der Sitzung des parlamentarischen Innenausschusses, in der der Bush-Großeinsatz ausgewertet worden war.

Dem neuen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch (SPD) war es bei dessen ersten parlamentarischen Auftritt vorbehalten, die Fakten darzulegen: 10.000 eingesetzte Polizeikräfte, davon 5.500 von außerhalb, 64 freiheitsentziehende Maßnahmen, 272 Freiheitsbeschränkungen, 45 verletzte Polizisten, 23 registrierte Straftäter. Gegen sechs Personen wurden Haftbefehle vollstreckt. Sämtliche Ziele, die sich die Polizei gesteckt habe, so Glietsch, hätten sich erfüllt: Bush wurde geschützt, die Demonstrationen verliefen friedlich, gewälttätige Ausschreitungen hielten sich wider Erwarten in Grenzen und wurden schnell eingedämmt. „Besonders erwähnenswert für die Polizei“ sei die Kooperationsbereitschaft der Veranstalter, „die in erfreulicher und deutlicher Weise sehr nachhaltig versuchten, Straftaten aus dem Aufzug zu verhindern.“

Der erste, der sich danach zu einer politischen Bewertung in den Ring stürzte, war der innenpolitische Sprecher der CDU, Roland Gewalt. Er mühte sich in dem Spagat: Lob für die Polizei „für das konsequente Zugreifen“ während des Bush-Besuches und Schelte für den Innensenator für das Deeskalationskonzept am 1. Mai. Wie beim Bush-Besuch müsse auch am 1. Mai verfahren werden, forderte Gewalt von Körting: „Stecken Sie das Deeskalationskonzept in die Schublade und holen Sie es nie wieder hervor“, plädierte der CDU-Politiker für unbedingte Härte und null Toleranz. Vergebens suchte Körting darauf hinzuweisen, dass die Polizei bei den Anti-Bush-Demonstrationen im Kern genauso gehandelt hatte, wie am 1. Mai, nämlich Deeskalation zu praktizieren: Mit den Veranstaltern in Kontakt bleiben, betonte Zurückhaltung üben, Verzicht auf seitliche Begleitung, und als Einsatzkleidung Basecap und Hemd statt Helm und Kampfanzug.

„Eine Politfolklore wie die CDU sie praktiziert, können wir uns schenken“, konstatierte der PDS-Innenpolitiker Udo Wolf. Nie zuvor habe er bei Demonstrationen eine so entspannte Atmosphäre zwischen Demonstranten und Polizei gesehen. Nun müsse es darum gehen, dieses Konzept weiterzuentwickeln, forderten auch die Innenpolitiker von Grünen und SPD.

„So viel Zustimmung macht die Polizei richtig nervös.“

Was langjährige Polizeikritiker wie der PDS-Innenpolitiker Freke Over nach wie vor erstaunt, ist, wie die neue Offenheit von der Polizei mitgetragen wird. Dass diese nur von Innensenator Körting und dessen Staatssekretär Lutz Diwell politisch verordnet worden sei, kann sich Over nicht vorstellen. „Es muss schon eine gewisse Bereitschaft dafür gegeben haben.“ Auch am Einfluss des neuen Polizeipräsidenten Glietsch könne es noch nicht liegen. Schließlich wurde der Einsatz am 1. Mai und der während des Bush-Besuches vom Gesamteinsatzleiter Gernot Piestert befehligt.

Piestert, Chef der Schutzpolizei, nennt ein Konglomerat von Gründen für das andere Auftreten der Polizei. Das Wort Deeskalation nimmt er allerdings nur ungern in den Mund, weil das im Umkehrschluss Eskalation bedeute. Er spricht lieber von der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Der politische Klimawechsel, vor allem das Engagement des FU-Professors Peter Grottian, habe die Polizei ermutigt, andere Wege zu gehen, sagt Piestert. Das Konzept der ausgestreckten Hand sei am 1. Mai und beim Bush-Besuch in voller Übereinstimmung vom Polizeiführungsstab getragen worden.

Auch Innensenator Körting hat nicht den Eindruck, dass er die Polizeiführung zum Jagen tragen musste. „Vielleicht ist sie im Gegenteil viel eher von politischen Vorgaben befreit worden, die es vorher gab“, spielt der Innensenator auf seine CDU-Vorgänger an. Wolfgang Wieland (Grüne) traut dem Frieden jedoch noch nicht so ganz. „Aus einzelnen Schwalben wird noch lange kein Sommer.“ Bis das neue Selbstverständnis unten an der Polizeibasis angekommen sei, so Wieland, „ist es noch ein langer Weg“. Was den Einsatz im Lustgarten angehe, gebe es durchaus Grund zum Tadel.