Viel Kritik und eine kalte Schulter

Die israelische Führung übte scharfe Kritik an FDP-Chef Guido Westerwelle, Oppositionsführer Sarid sagt Treffen ab

JERUSALEM taz/dpa ■ Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat sich bei seinen Gesprächen mit der israelischen Führung am Montag scharfe Kritik an Antisemitismus in Deutschland und an der Haltung der FDP anhören müssen. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon verurteilte gestern vor seinem Gespräch mit dem FDP-Vorsitzenden Westerwelle den wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa mit deutlichen Worten. „Wir machen uns große Sorgen, denn wir sehen, wie der Antisemitismus in Europa und Deutschland ansteigt“, sagte er. Auch „die Dinge, die gegen die jüdische Gemeinde ausgesprochen werden, beunruhigen uns sehr“. Er hoffe, dass in Deutschland „bald wieder ein anderer Wind weht“, meinte Scharon. Kurz zuvor hatte der linksliberale Oppositionsführer Jossi Sarid ein Gespräch mit Westerwelle kurzfristig „wegen der nationalistischen und antisemitischen Äußerungen der FDP“ abgesagt, „die Westerwelle als Vorsitzender nicht gestoppt“ habe. Auch die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem hat gestern anlässlich des Besuchs von Westerwelle antisemitische und fremdenfeindliche Aussagen innerhalb der FDP scharf verurteilt. Westerwelle hatte unter anderem in der „Halle der Erinnerungen“ einen Kranz niedergelegt und die ewige Flamme entzündet. Danachveröffentlichte Jad Vaschem eine Erklärung, in der Politiker in Deutschland aufgerufen werden, auch verbale rassistische Angriffe anzuprangern. Die zynische Benutzung demokratischer Foren für antisemitische Aussagen bei Diskussionen über Israel und den Nahen Osten gewinne in Deutschland Besorgnis erregende Legitimität, hieß es in der Erklärung. „Geschichte endet nicht mit einer neuen Generation“, schrieb Westerwelle darauf ins Besucherbuch. „Wir bleiben in ihrer Verantwortung. Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Nach Auskunft des Außenministeriums wurden Westerwelles Gespräche mit Präsident Mosche Katzav, Regierungschef Ariel Scharon, Außenminister Schimon Peres und Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser nur möglich, weil sich der FDP-Vorsitzende am Freitag in einer Pressekonferenz zum letztmöglichen Zeitpunkt von Jürgen Möllemanns umstrittenen Ausführungen zum Rechtspopulismus distanziert hatte. „Wir hatten die Durchführung unserer Einladung, die schon im Oktober 2001 ausgesprochen wurde, davon abhängig gemacht“, betonte Jonathan Peled vom Außenministerium. „Wir sind sehr besorgt über die derzeitige Haltung der FDP.“

Avi Primor, Israels voriger Botschafter in Bonn, ist skeptisch, ob diese Bedenken in Israels Bevölkerung und politischer Landschaft geteilt werden. Israel sei ausreichend mit sich selbst beschäftigt, und so werde die FDP-Debatte höchstens am Rande verfolgt.

Tatsächlich ging nur die Zeitung Ha’aretz sowie ein Radiosender auf die Vorgänge ein. Die FDP bezeichnete Primor als „dem Staat Israel und den Juden Deutschlands immer sehr, sehr treu“. Adar Primor, Sohn des Ex-Diplomaten und Auslandschef bei Ha’aretz, war am Montag der Einzige, der dem israelischen Publikum die aktuellen Vorgänge um Möllemann, Karsli und Friedman erläuterte.

Tenor des Artikels: Das politische Establishment Deutschlands hegt große Sorge vor einem Ausbruch von Antisemitismus und ist übersensibel hinsichtlich Kritik von Israels derzeitiger Politik.

Auch Westerwelle hat sich bemüht zu versichern, dieses Tabu sei in Deutschland immer noch weit mächtiger als der Druck, es zu zerschlagen. Seine Gesprächspartner indes haben deutlich gemacht, dass sie ihm und seiner Partei den für den Wahlkampf erwünschten israelischen „Persilschein“ nicht ausstellen werden, solange FDP-Vertreter mit rechtsextremem Wählerpotenzial flirten.

Zumindest hat Westerwelle gestern stolz auf seinen Erfolg hinweisen können, Jamal Karsli aus der Partei verbannt zu haben. In seinen heutigen Gesprächen mit Palästinenserführer Jassir Arafat in Ramallah und Autonomieratsmitglied Saeb Erekat in Jericho dürfte das kein Thema sein. ANNE PONGER