Der DGB will wieder mitreden

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kürt heute nicht nur Michael Sommer zum Vorsitzenden. Im Wahljahr will der DGB auch den Einfluss der Arbeitgeber in Öffentlichkeit und Politik zurückdrängen. Beim Kongress in Berlin schauen fünf Parteichefs vorbei

aus Berlin BARBARA DRIBBUSCH

Nur mal angenommen, es gäbe eine Straßenumfrage, wer denn überhaupt wisse, was der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sei. Viele der Befragten würden die genaue Bedeutung des Dachverbands der deutschen Gewerkschaften gar nicht kennen, aber eins wüssten die meisten schon: Der DGB-Chef ist öfters mal im Fernsehen, um gegen Sozialabbau zu protestieren. In den vergangenen vier Jahren trat die DGB-Spitze allerdings nur selten auf – und das soll sich mit dem neuen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer ändern.

Bis zum Donnerstag tagt der 17. Bundeskongress des DGB im Internationalen Congress Centrum in Berlin, 400 Delegierte sind dorthin entsandt. Die heutige Wahl des neuen DGB-Chefs Sommer und seine Antrittsrede werden ein Höhepunkt des Kongresses sein. Sommer löst den 62-jährigen DGB-Chef Dieter Schulte ab, der nach achtjähriger Amtszeit nicht erneut für den Vorsitz kandidiert. Der 50-jährige Sommer hat bereits angekündigt, als DGB-Vorsitzender wieder die politische „Meinungsführerschaft“ erringen zu wollen. Diese sei nämlich in den vergangenen Jahren zu stark an die Arbeitgeber gegangen.

Sommer, studierter Politologe, wurde in der Postgewerkschaft groß und schließlich vor einem Jahr zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gewählt. Er wird dem linken Gewerkschaftslager zugeordnet, gilt aber gleichzeitig als Pragmatiker.

Der neue DGB-Chef muss die Gewerkschaftsbewegung vor allem nach außen repräsentieren. Seine eigentliche Macht ist klein: Die tariflichen Auseinandersetzungen laufen in den acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften und nicht im Dachverband ab.

Umso wichtiger wird die politische Weichenstellung auf dem Bundeskongress sein. Der scheidende DGB-Chef Schulte hatte schon eine Rückkehr des DGB zur alten Umverteilungsrhetorik erkennen lassen. Er forderte von der Bundesregierung eine Rücknahme des Sparkurses und sprach sich für eine „Einnahmeverbreiterung“ der öffentlichen Kassen aus. Dazu müssten die Erbschaftssteuer erweitert, die Vermögenssteuer und eine Börsensteuer eingeführt werden. Schulte hatte jedoch auch erklärt, der DGB bevorzuge nach wie vor eine rot-grüne Regierung. Trotzdem hat sein Nachfolger ein Treffen mit Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber angekündigt.

Morgen beginnt das Schaulaufen der Politiker vor dem Kongress, um für die Sympathien der Arbeitnehmer zu werben: Erst hält Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Rede, dann folgen der grüne Parteichef Fritz Kuhn, die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer, FDP-Chef Guido Westerwelle und Stoiber.

Bundespräsident Johannes Rau forderte gestern in seiner Rede vor dem Bundeskongress, sowohl die Arbeitgeber als auch die Gewerkschaften müssten daran interessiert sein, dass neue Jobs entstünden. Gewerkschaften seien mehr als „Tarifverhandlungsmaschinen“, so Rau.

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