Bebende Pfeifen

Die Kirche in Neuenfelde beherbergt ein einzigartiges Instrument aus dem 17. Jahrhundert. 1000 Orgelfreunde setzen sich für seinen Schutz ein

von GERNOT KNÖDLER

Neuenfelde droht der Verlust von High-Tech aus dem 17. Jahrhundert. Die Kirche des Dorfes enthält eines von 30 erhaltenen Instrumenten des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger. Die zusätzliche Pistenverlängerung, um die Airbus im Rahmen der Werkserweiterung in Finkenwerder gebeten hat, würde dazu führen, dass in vier Jahren das größte Flugzeug der Welt nur wenige hundert Meter entfernt startet.

Eine Horrorvorstellung für den Kantor der Kirchengemeinde, Karl-Bernhardin Kropf. Denn schon heute rumpelt es unter dem Dach der Kirche gewaltig, wenn die Airbusse starten. „Damit könnte man hier gut leben“, sagt Kropf. Der A380 wird jedoch um einiges größer und schwerer als das walförmige Riesenflugzeug, mit dem Airbus Flugzeugrümpfe einfliegt. „Das wird eine physisches Erlebnis werden“, prophezeit der Organist.

Beeindruckend, sicher, aber möglicherweise fatal für die Kirche und das 300 Jahre alte Instrument. „Vielleicht wird‘s ja auch gehen“, sagt Kropf, „vielleicht bezahlt man ja uns auch ein paar Risse im Mauerwerk.“ Doch im Grunde sieht der Organist nicht ein, warum eines der Meisterwerke der Orgelbaukunst für den Riesenflieger riskiert werden sollte: „Wenn‘s die einzige Möglichkeit gewesen wäre, der Welt den A380 zu schenken ...“ - Aber so?

Kropf zufolge entstand die Orgel in St. Pankratius auf dem Höhepunkt der Orgelbaukunst in Norddeutschland. Der Kantor vergleicht das mit anderen Entwicklungen im Instrumentenbau: „Auch heute werden gute Geigen gebaut“, sagt er, „aber sie sind nicht mehr so gut wie bei Stradivari.“ Kropf hatte keine Probleme, mehr als 1000 Orgelfreunde in aller Welt dazu zu gewinnen, sich mit ihrer Unterschrift für den Schutz der Orgel einzusetzen.

Die Wissenschaft ist ihrem Geheimnis auf der Spur. „Vor ein paar Jahren waren Wissenschaftler aus Schweden hier, die eine möglichst genaue Kopie der Schnitger-Orgel bauen wollten“, sagt Kropf. Nebenbei hätten Forscher der TU Göteborg Erkenntnisse für den Bau von Flugzeugrümpfe gewonnen.

Eine Besonderheit in Neuenfelde ist, dass die Orgel gleichzeitig mit der Kirche gebaut wurde. Wie gut beide miteinander harmonieren, demonstriert der Kantor am Instrument: Vom Tonnengewölbe reflektiert, ist jeder einzelne Ton des komplexen Orgelklangs zu hören. Mehr als 1000 Pfeifen und Pfeifchen stehen dem Organisten zur Verfügung sowie ein kleiner Zimbel-Stern, der ebenfalls vom Blasebalg angetrieben wird. Zu hören ist dieses Ein-Mann-Orchester jeden Sonntag ab 9.30 Uhr im Gottesdienst. Jeweils am ersten Sonntag im Monat von April bis September gibt Kropf ab 16.30 Uhr Konzerte.