„Eine aktuelle Geschichte für die männliche Psyche“

■ Der Totenkult eines leidenden Täters: Tilman Knabe über seine Inszenierung der „Toten Stadt“

Am Samstag hat „Die tote Stadt“ von Erich Maria Korngold am Bremer Theater am Goetheplatz Premiere – die letzte dieser Spielzeit. Tilman Knabe inszeniert – wegen des Sujets sei hier sein Alter erwähnt: 32 Jahre.

taz: Wie ist Ihr Zugang zu dieser leicht kränkelnden, morbiden Story?

Tilman Knabe: Ich kannte das Stück in einer Inszenierung von Günter Krämer. Paul hat ein Trauma, mit dem er sich auseinandersetzen muss. Es gibt eine Katharsis. Sein Gesang in der Kirche, da hat er einen so unglaublichen Überdruck, dass wir zum Mitleiden kommen. Das ist nicht das fast Kitschige eines Marienkultes, sondern seine Befindlichkeit. Und das ist sehr männlich. Männer kleben an Frauen, an Idealfantasien, das können Sie sich mit Sicherheit nicht vorstellen ...

Nein, wirklich nicht.

Eben. Ich erlebe es bei den Proben: Die Männer, die sind einfach fertig. Sie erkennen in dieser Geschichte sich selbst. Für die männliche Psyche ist das eine ganz aktuelle Geschichte.

Der Komponist Korngold wurde als Wunderkind gefeiert, verehrt von seinem Lehrer Alexander von Zemlinsky, als Genie bezeichnet von Gustav Mahler. Gibt es Elemente der Pubertät im Werk des 22-Jährigen?

Jein. Schuldfragen hat man immer. Die menschliche Verletzung ist in diesem Werk vorprogrammiert. Es ist ja bemerkenswert, wie sehr heute lebende Komponisten dieses Stück lieben, da können Sie fragen, wen Sie wollen.

Was macht die Musik mit diesem für mich noch immer seltsamen Sujet, in welche Deutungen treibt sie die Geschichte?

Sie zeigt genial den emotionalen Haushalt Pauls. Korngold hat ja nach seiner Emigration 1934 in Hollywood Geld mit der Herstellung von Filmmusik verdient, für die er auch seine früheren Werke ausgebeutet hat.

Kommen Sie mit dieser Hollywoodmusik klar?

Man darf das nicht so vorurteilsbehaftet sagen, wie Sie es jetzt tun. Diese Musik ist in ihrer Weise perfekt, man wird hineingesogen in ihre Melodik, ihre klangliche Raffinesse. Dieser morbide Zerfall bis zum entscheidenden Schluss – da weiß man nun wirklich nicht, ist das ein Traum oder nicht?

In dem zugrunde liegenden symbolistischen Roman „Bruges la morte“ von Georges Rodenbach ist es 1892 radikaler: Da wird Marietta getötet. Aber Mord ohne Sühne, das geht ja nicht, also wird es im Libretto von seinem Vater Julius Korngold als Traum dargestellt. Jetzt kommt es: In der Musik gibt es keine Unterscheidung ... Erich Korngold hat die Moral des Librettos unterlaufen. Aber noch einmal zu seiner Musik: Er war in den 20er Jahren ein echter Superstar.

Ist denn für Sie noch nachvollziehbar, dass die Oper nach der Uraufführung ein solcher Welterfolg wurde, dass er heute nicht mehr vorstellbar wäre?

Stellen wir mal fest: Arnold Schönberg war alles andere als ein Star. Richard Strauss hat Korngold gefördert. Pauls unglaubliches Lied, das war was Operettiges und somit für die damalige Zeit einfach toll. Ich glaube, dass Korngold ein Genie war, dass sich aber nicht entwickelt hat. Der war mit dreizehn fertig. Und da war natürlich auch die Tragödie nach 1945, wo seine Musik völlig anachronistisch wirkte.

Sie inszenieren jauch Schauspiel. Was fasziniert Sie an Oper?

Dass das Zeitmaß und der Rhythmus vorgegeben sind. Das muss man im Schauspiel selbst herstellen

Fragen: Ute Schalz-Laurenze