Ein sehr spätes Bedauern

Erstmals nach 60 Jahren entschuldigen sich die Agrarwissenschaftler der Humboldt-Universität offiziell für den mörderischen „Generalplan Ost“. Es ist auch ein Triumph für einen Einzelkämpfer

von PHILIPP GESSLER

Ein Tag der Freude und zugleich der Trauer – das war der gestrige Tag an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität. Erstmals nach 60 Jahren entschuldigten sich die Fakultät und die Universität in einer Gedenkfeier mit einer offiziellen Erklärung für ein monströses Verbrechen, das an den Gelehrten-Schreibtischen der Vorläuferinstitution bis in die Einzelheiten erdacht worden war: den „Generalplan Ost“, ein Plan für millionenfachen Mord in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten des Ostens.

Zugleich bedeutete die Gedenkfeier aber auch einen Freudentag und Triumph für Matthias Burchard (41). Der ehemalige Student und Diplomand der Fakultät kämpft seit zehn Jahren darum, dass seine Fakultät und Universität ihre historische Verantwortung für den mörderischen Plan anerkennen. Der damalige Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik, Konrad Meyer, hatte genau vor 60 Jahren dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, eine 64-seitige Studie übersandt mit dem harmlosen Titel „Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus“.

Ziel dieses später „Generalplan Ost“ genannten Plans war die Neuordnung und „Germanisierung“ der eroberten Gebiete in Ost- und Mitteleuropa: durch Zwangsvertreibung und Umsiedlung von vielen Millionen Menschen. Fast die Gesamtheit der polnischen Bevölkerung galt der Expertise nach im Sinne der NS-Rassenideologie als minderwertig und nicht „eindeutschungsfähig“. Es sollten zwischen 25 und 50 Millionen Personen zur Zwangsarbeit eingesetzt oder in unfruchtbare Landschaften deportiert werden. Das hätte den Hungertod für die meisten von ihnen bedeutet. Und es blieb nicht nur beim Plan. Konkret wurde er etwa im polnischen Distrikt Lublin: Im Kreis Zamość wurden 110.000 polnische Zivilisten aus ihren Häusern und Wohnungen gejagt. Eine Reihe von Dörfern wurden völlig zerstört, um Platz für deutschstämmige Neusiedler zu schaffen.

In der Erklärung des Fakultätsrates, den Dekan Uwe Jens Nagel vortrug, hieß es: Der „Generalplan“ werde vom Rat „einhellig als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt“. Die Professoren bitten „öffentlich um Entschuldigung bei allen toten und noch lebenden Opfern“. Man leiste dafür „tief empfunde Abbitte“. Der Präsident der Humboldt-Universität, Jürgen Mlynek, sagte, er begrüße die Erklärung des Fakultätsrates: „Gleichzeitig bekenne ich mich in meiner Funktion als Präsident der Humboldt-Universität zu der gesamtuniversitären Verantwortung, die wir beim Generalplan Ost zu tragen haben.“

Nur der Fachschaftsvertreter erinnerte in der Feier an den Kampf Burchards um eine solche offizielle Entschuldigung. Burchard selbst blieb der Gedenkfeier fern. Er verteilte, wie schon vor zehn Jahren mit den gleichen Informationstafeln behangen, vor der Tür Flugblätter zum „Generalplan Ost“ und der Haltung seiner Fakultät. Sie will seine Ausstellung über den Plan in ihren Räumen nicht zeigen.