Ich, ich, ich, ich, Oskar Lafontaine

Der SPD-Vorsitzende a. D. berät bei der Präsentation seines neuen Buches die ganze Welt – nur nicht sich selbst

BERLIN taz ■ Vielleicht fangen wir mit dem Wichtigsten an. Gut sieht er er aus, der Lafontaine, irgendwie ausgeruht, ganz entspannt. Hat eben keinen Karrierestress mehr. Da ist nichts von Wut zu spüren. Aber wütend sein soll er ja. In seinem Herzen, das links schlägt, soll sich die Wut angestaut haben, sagt sein Verleger. Deswegen auch der Titel seines neuen Buches: „Die Wut wächst“. Ganz egal, welche Wut, Hauptsache sie wächst. Und Lafontaine verdient gut dabei.

An dieser Stelle schon mal die entscheidende Zwischenfrage: Passt so viel eigentlich in ein einziges Herz hinein, das ganze Linkssein und die viele Wut?

Andererseits: Ist die Frage überhaupt wichtig, wenn Lafontaine am Montagabend in Berlin sein Buch vorstellt und über 100 Journalisten kommen? Ist damit nicht schon alles gesagt?

Das ist vielleicht der Schlüssel zum Ganzen: Es ist schon alles gesagt. Über Lafontaine. Über Schröder. Über die SPD. Übers Linkssein. Über soziale Gerechtigkeit. Über die Weltwirtschaft. Über die Globalisierung. Über die Amerikaner. Über den IWF. Über die Tobin-Tax. Und über alles andere. Aber Lafontaine sagt’s noch mal und noch mal und noch mal. Immer wieder. Jetzt eben kurz vor der Bundestagswahl. Nein, sagt er, sein Buch sei kein Akt der Illoyalität gegenüber der rot-grünen Regierung. Wer hat denn die Wahlversprechen gebrochen? Er vielleicht?

Lafontaine berät die ganze Welt. Nur nicht sich selbst.

„Wenn Sie sich entscheiden, nach 30 Jahren auf diese Art und Weise, wie ich es getan habe, aus der Politik auszusteigen“, entfährt es ihm an einer Stelle, „dann können Sie diese Entscheidung nicht in ein paar Monaten aufarbeiten.“ Das wird es sein. Wie viele Bücher muss er denn noch schreiben? „Dass ich ein engagierter und zorniger Mensch bin, ist ja bekannt“, sagt er. Ja, ist bekannt.

Hab Erbarmen, SPD! Erhöre deinen ehemaligen Führer! Es ist doch nur ein Schrei nach Liebe. Der große Egomane spricht an diesem Abend schon wieder von „meiner Partei“. Er lehnt es sogar ab, über die Folgen einer Wahlniederlage der SPD zu spekulieren. „Ich würde meiner Partei keinen guten Dienst erweisen“, sagt er. „Außerdem hat sie die Wahlen noch nicht verloren.“ Na bitte, Genossen, jetzt müsst ihr Napoleon nur noch folgen. Macht einfach ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit, hört auf die UNO, schafft die Riester-Rente wieder ab – und alles wird gut. Und die Wahlen gewinnt ihr auch noch. JENS KÖNIG